Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 4 B
Von der „Ziegenschweiz“, von der „Ziegenliese“ und vom Bombenkrieg
Die „Ziegenschweiz“
Es ist schon erstaunlich und erfreut das Herz eines jeden Heimatfreundes, dass alte Einsiedler Namen hier noch oft von Generation zu Generation weitergetragen und so vor dem Vergessen bewahrt werden.
Wir erinnern beispielsweise an „Angst’n Bang“, an den „Kaiserhof“ oder an „Drei Eichen“.
Und mehr noch, wir finden diese alten Bezeichnungen auch manches Mal in Form von Schildern oder historischen Tafeln vor Ort, sodass man sich ebenda, also direkt am Platz, eine Vorstellung machen kann.
Bei der „Ziegenschweiz“ findet sich ein visueller Hinweis in Form eines Schildes (noch) nicht, indes ist der Begriff doch geläufiger als gedacht.
Nachfolgend ein Schnipsel aus einem Wanderführer von 1899, in welchem bereits damals von der „Ziegenschweiz“ als volkstümliche Bezeichnung geschrieben wurde.
Bilder oben und unten: das verschwundene Dorf. Laut dem oben zitierten Wanderführer hat es hier gestanden, Eyben-, Buben- oder Meupenberg. Jetzt, am 7. April 2024, steht hier der Raps in Blüte und in dem im Laufe so vieler Jahrzehnte unzählige Male umgepflügten Areal finden sich vermutlich keine Mauerreste mehr. Die Topografie indes hat sich wohl nicht geändert, wenn auch der zwischen den Bäumen schlängelnde Eibenberger Bach wahrscheinlich mäandert hat. Aber wer weiß das schon …
Nun, und wenn wir schon mal hier sind, sollten wir unseren Blick auch noch einmal nach rechts wenden. Denn hier gab es früher eine Sprungschanze. Die Erste im Ort und nicht zu verwechseln mit den Schanzen am Mühlberg.
Diese hier wurde 1932 erbaut und am 22. Januar 1933 geweiht. Genutzt wurde sie vermutlich bis Anfang der 1940er-Jahre. Längst ist sie abgerissen, aber hier im Heimatwerk wird natürlich unzähliges aus der Vergangenheit zurückgeholt.
(Foto: Elke Haubold, um 1935)
Aber wir schweifen ab … zurück zur „Ziegenschweiz“.
Der obere Kartenausschnitt verdeutlicht uns recht gut das Areal der „Ziegenschweiz“, es sind die wenigen Häuser in der Bildmitte. Rechts der rote Streifen stellt die Gemarkungsgrenze zu Eibenberg dar und links gut erkennbar die „Körnerhöhe“ und die Brauereiteiche.
Die im Kartenausschnitt oben gezeigte Bebauung ist mit der heutigen nicht mehr vergleichbar. Linksseitig ist in Richtung Eibenberg ab den Brauereiteichen bis zum Ortsausgangsschild nahezu alles bebaut. Und rechter Hand wurden bis zur Einmündung des Weges von der Körnerhöhe wohl sämtliche Baulücken geschlossen. Der „Bauboom“ hier zog sich über viele Jahrzehnte. Auch zu DDR-Zeiten wurden an der Eibenberger Straße Häuser errichtet und selbstverständlich entstanden ebenso nach der Wende hier Neubauten.
Aufnahme rechts: noch keine Bebauung im „Mittelabschnitt“ in den 1950er-Jahren.
(Foto: Wolfgang Röhr)
Eine korrekte, soll heißen auf Quellen basierende Erklärung für „Ziegenschweiz“ müssen wir – wie bisher alle anderen auch – schuldig bleiben. Aber die Faktenlage lässt stichhaltige Schlussfolgerungen zu, die wohl der Realität sehr nahekommen. Neben der Schweiz als Eidgenossenschaft, die eigentlich jedem bekannt ist, beschreibt der Begriff „Schweiz“ auch eine Landschaft, z. B. die „Sächsische Schweiz“.
Und hier in Einsiedel ist es zu den Ziegen nicht weit. Verbürgt sind in den Erinnerungen der alten Einsiedler die dort am Ortsausgang äußerst zahlreich gehaltenen Ziegen. Man muss sich dazu vor Augen führen, dass Ziegen früher der Milchlieferant schlechthin waren. In erster Linie für diejenigen, die sich keine Kuh leisten konnten, und das waren wohl die meisten.
Vor allem nach den Weltkriegen war die Ziegenhaltung intensiv und der Schafhaltung vorgezogen, da die Milchleistung weitaus besser war. Die gezeugten jungen Zicklein dienten im Laufe des Jahres der Fleischgewinnung, bis neue geboren waren und sich alles wiederholte.
Aber gehen wir wieder einige Jahrzehnte zurück und kommen zur …
„Ziegenliese“
Oben links im Bild „Ziegenlieses“ Haus in den 1950er-Jahren. Genau hier war jahrzehntelang eine richtige kleine Deckstation für Ziegen. Liese besaß stets einen „leistungsfähigen“ Bock, der freilich auch dementsprechend stank. Wenn man also mit der eigenen Ziege vom Decken wieder heimwärts tingelte, wussten jene, denen man begegnete, auf alle Fälle, wo man herkam!
Elise Pönisch alias „Ziegenliese“ war ein sogenanntes „Einsiedler Original“. Wir verweisen diesbezüglich auf eine kleine Mundartgeschichte, die wir an anderer Stelle im Heimatwerk eingestellt haben.
Aber, so lustig uns diese kleine Episode erscheint, war doch das Leben von Elise Pönisch hart und entbehrungsreich. Und traurig! Zweimal war sie verwitwet und der (Heimat-)Krieg nahm ihr noch das Wertvollste.
Der Bombenkrieg – die ersten beiden Opfer
An die unheilvollen, angloamerikanischen Bombenangriffe am 14. Februar und 5. März 1945 erinnert jährlich der Heimatgeschichtsverein Einsiedel (ex H+G Einsiedel) in Form einer kleinen Gedenkstunde mit Kranzniederlegung auf dem Friedhof.
Aber es gab einen dritten Angriff oder schreiben wir besser: den ersten.
(…) Nachdem sich die feindlichen Flieger im Januar 1945 durch zahlreiche Überfliegungen genügend orientiert hatten, erfolgte am 6. Februar ein Tagangriff auf Chemnitz, bei dem auch einige Bomben auf Einsiedel fielen. Und zwar geschah dies in der Mittagsstunde.
Einsiedel, am 28. Februar anno 1945
Das alte Lingenauer-Häuschen an der Eibenberger Straße, das der Frau verwitwete Pönisch gehörte, wurde durch einen Volltreffer glatt vom Erdboden wegrasiert. Dabei fanden die Tochter der Frau Pönisch, Frau Helene Meier, und deren Tochter, die Konfirmandin Hanna Helene Meier, den Tod. Die beiden Opfer wurden am 10. Februar unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf unserem Friedhof bestattet. (…)
Kämpfe, Kirchbuchführer
Der Kirchbuchführer und Heimatforscher Otto Kämpfe geht in dem Artikel auch detailliert auf den zweiten Angriff vom 14. Februar ein, nicht wissend, dass wenige Tage später noch viel Schrecklicheres bevorstehen wird.
Es wird heute allgemein angenommen, dass es sich bei diesem ersten Angriff am 6. Februar um den Notabwurf einer Bombe handelte, die aber ein Ziel fand.
Elise Pönisch überlebte nur, da sie sich zum Detonationszeitpunkt auf der Trockentoilette befand, die außerhalb des Hauses lag.
Es starben ihre Tochter Meier, Martha Helene, geb. Pönisch, 36 Jahre alt und deren Tochter Helene Hanna, 14 Jahre alt.
Eine wahre Völkerwanderung setzte nach dieser ersten Bombe auf Einsiedel hierher zum Grundstück ein. Unzählige Leute aus dem Dorf, aber auch aus Eibenberg und Berbisdorf waren vor Ort. Man bestaunte die Wirkung dieser Kriegswaffe, die man zwar aus den „Wochenschauen“ kannte, nun aber erstmals „live“ erlebte. Niemand ahnte, was Einsiedel binnen Monatsfrist noch bevorstand …
Es wurde mehrfach kolportiert, dass Elise Pönisch gemäß „Kriegssachschädenverordnung“ durch das Reich entschädigt worden wäre.
Die Kriegssachschädenverordnung wurde am 30. November 1940 vom Ministerrat für die Reichsverteidigung als Verordnung mit Gesetzeskraft erlassen. Sie regelte ab dem 15. Dezember 1940 eine staatliche Entschädigung in Höhe der Wiederbeschaffungskosten gegenüber Eigentümern von beweglichen und unbeweglichen Sachen, die infolge eines Angriffs auf das deutsche Reichsgebiet ab dem 26. August 1939 geschädigt worden waren. Voraussetzung war, dass der Geschädigte nicht von anderer Seite, etwa einem Versicherungsunternehmen, Ersatz verlangen konnte.
Wikipedia, abgerufen am 21. April 2024
Unklar ist, ob dem so war. Fakt ist allerdings, dass das Gebäude alsbald wieder errichtet wurde, die Bauarbeiten dazu begannen noch während des Krieges.
Für alle anderen Opfer der Bombenangriffe im Februar und März 1945 wurden keine Zahlungen mehr geleistet.
In einem Treffen der Geschichtsgruppe 2020 waren aber solche Entschädigungen auch einmal Thema. Hier ging es um Notizzettel, die vorsorglich angefertigt wurden, um die ebenda wertmäßig dokumentierten Gegenstände, die bei einem Angriff vernichtet werden konnten, für eine Entschädigung durch das „Kriegsschädenamt“ nachvollziehbar zu machen. Es ergab sich, dass durchaus Zahlungen geleistet wurden.
Bekannt ist noch, dass Elise Pönisch, längst im Rentenalter, runter ins Dorf zog, wo sie verstarb. Das Grundstück Eibenberger Straße 21 wechselte bis heute viele Male den Besitzer.
Wie es der Zufall so will …
Bei der Abholung von diversen Hölzern im Sägewerk Kunze treffen wir dort am 16. Juli 2024 Gerd Arnold, wohnhaft in der „Ziegenschweiz“.
Und siehe da, er konnte uns in diesem Augenblick ein historisches Schild zur „Ziegenschweiz“ präsentieren, welches wohl in Bälde ebenda aufgestellt wird. Neben ihm selbst gab es eine Anzahl von Bewohnern der Eibenberger Straße, die sich an der Finanzierung beteiligten.
Hier im Sägewerk bekam die Tafel, die sich vom äußeren Erscheinungsbild wunderbar an die vielen anderen historischen Schilder in Einsiedel anpasst, Ständer, Rückwand und Dach.
Selbstverständlich werden wir zu gegebener Zeit noch ein Foto vom finalen Standort einstellen.
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- Helga Claus
- Heinz Kratzer
- Gerd Arnold
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