Zur Entstehungsgeschichte der „Einsiedler Dorfkirmes“
Im August 1982 übergab Erich Parthey sein Lebenswerk „Erzgebirgische Dorfkirmes“ dem „Museum für bergmännische Volkskunst“ in Schneeberg. Aus diesem Anlass erzählte er den dortigen Mitarbeitern, wie es überhaupt dazu gekommen war:
Erzgebirgische Dorfkirmes, das hieß Rummel in Einsiedel
Was gab es da nicht alles zu sehen! Beim Aufbau der Buden und Karussells war ich immer Gast mitunter mit dem Ranzen auf dem Rücken. Die Schule war nur Minuten entfernt. Als dann sonntags der Kirmestrubel einsetzte, gehörte ich zu den Stammgästen. Aber das Taschengeld von der Mutter war äußerst knapp! Manche halbe Stunde stand ich vor einem schönen Leierkasten oder auch „Drehorgel“. Die Musik begeisterte mich gleichfalls. Wir Jungen durften oft bei einer Reitschule mit „Schieben“, dafür gab es dann einige Freikarten. Schon mit 13 Jahren versuchte ich ein kleines Karussell aus sehr billigen Mitteln nachzubasteln. So [stieg] dieses „Hobby“ bei mir ein. In den folgenden Jahren entstanden noch mit viel Fleiß eine „Fliegerreitschule“ und ein „Autokarussell“. Ich war dabei mit 20 Jahren ein leidenschaftlicher Bastler geworden. Die Fliegerreitschule kaufte mir ein hiesiger Geschäftsmann ab. Im Herbst 1935 sah ich zum ersten Mal eine „Krinoline“ zur Einsiedler Kirmes. Sie stellt ein auf- und abschwingendes gemütliches Karussell dar. Wir waren begeistert, auch meine liebe Frau, die ich inzwischen geheiratet hatte. Die tolle Stimmung der Jugend auf der vollbesetzten Krinoline, die Beleuchtungseffekte und die feine Drehorgelmusik versetzten uns in Erstaunen. Und ich rief voller Freude, so etwas will ich auch noch basteln und meine Frau stimmte mir zu. Niemand ahnte, dass damit der Grundstein für eine Minikirmes gelegt wurde. Ich war damals 26 Jahre alt.
Es gab schon eine ziemliche Knobelei mit dem Antrieb wegen der Schwingbewegung. Aber die Lösung kam mit einem Exzenter und einigen Zahnrädern zustande. Meine Frau übernahm alle Stoffarbeiten. Ein Freund malte die kleinen Ölgemälde für die Dachkante. Zu Weihnachten 1936 konnte die Krinoline mittels Handkurbel zum Drehen und Schwingen gebracht werden. Das gab allerhand Freude. Als nächstes machte sich ein mechanischer Motorantrieb nötig. Klingelzeichen, Tourenablauf, Lichtwechsel über Schaltwalze, sowie Betriebssicherheit waren Bedingung. Ein geräuscharmer Zahnradantrieb reizte mich sehr. Es gab allerhand zu berechnen, einen leistungsfähigen Trafo wickelte ich selbst. Mancher Geldschein floss in die Anlage. Trotz unserer bescheidenen Wohnverhältnisse kamen allerhand Verwandte und Bekannte zur Besichtigung, es hatte sich im Dorf herumgesprochen. Nur ich selbst war noch nicht richtig zufrieden, denn geeignete Musik und entsprechende Figuren fehlten noch. Durch Zufall konnte ich zwei Schallplatten kaufen. Ein Berliner Leierkasten spielte alte Melodien – für uns das Richtige! Beide Platten sollten automatisch abspielen und pausenlos Musik liefern. Nebenher besuchte ich in Chemnitz einen drei Abende dauernden „Schnitzerlehrgang“. Dann freuten wir uns beide über unsere ersten „Männeln“. Trotz ihrer angeborenen Fehler fanden diese nun Platz auf den Bänken der Krinoline. Weihnachten 1938 konnte kommen und die Stammgäste staunen.
Ein Tischler fertigte mir einen Tisch mit Zwischenboden mit einem Spiegel, um den Antrieb in Funktion bei indirekter Beleuchtung zu betrachten. Es kam noch ein automatischer Vorhang dazu.
Alle Arbeiten waren eine Art Ablenkung von der beruflichen Tätigkeit, von der Sorge um die Zukunft, vor dem wahnsinnigen Krieg und der Sorge um unseren gerade geborenen Sohn Werner. Die Begeisterung für die Bastelei ließ mehr und mehr nach. Lediglich einige Beleuchtungseffekte kamen hinzu. Bei Frau und Kind hinter verdunkelten Zimmerfenstern wurde im Dezember 1944 letztmalig die Krinoline betrieben und danach eingepackt. Tage später kamen Fliegeralarme. Wir wohnten gefährdet in einem Fachwerkhäuschen nahe der Talsperre ohne Keller. Auf Anraten meines Hauswirtes Fritz Paditz durfte ich meine beiden Kisten dicht neben der Haustür abstellen. Beim Angriff am 5. März 1945 gegen 21 Uhr retteten wir nur unser Leben und die Kisten, alles andere wurde ein Raub der Flammen. Wir waren „total ausgebombt“. Zwei schlimme Worte, die nur der ermessen kann, welcher so ein Drama selbst erlebte.
Wir bekamen in einem Geschäftshaushalt ein Zimmer zugewiesen, krank und seelisch gebrochen. Wochen danach versuchte ich mich in meiner Verzweiflung etwas abzulenken. Ich zeichnete ein Kinderkarussell, schnitzte ringsum stehende Kinder und entsprechende Tiere dazu. Erst im Herbst vollendete ich die Reitschule. Trotz aller Holzknappheit fertigte mir mein alter guter Tischlermeister wieder einen Tisch mit Zwischenboden, an einen Spiegel war allerdings nicht zu denken. Wir bekamen 1947 eine kleine Altbauwohnung, dort hatte ich wieder etwas Platz für mein „Hobby“. Zum Jahreswechsel kamen wieder einige Neugierige aus dem Dorf vorbei. Auch ein fremder Herr kam vorbei und legte nach der Besichtigung meiner Anlage 20.000 Mark auf den Tisch und wollte alles abkaufen. Wir waren derart erschrocken und lehnten beide ab. Das einzige Wertvolle, was uns geblieben war, konnten wir nicht hergeben!
Ich kam auf die Idee, einen Sternenhimmel zu erstellen. Blaue Anstrahlung sollte Abendstimmung erzeugen. Vom hellen Tag stufenlose Verdunklung bis zuletzt Nacht mit Sternenhimmel! Ein weiterer Antrieb mit Schaltwalze, Verdunklerwiderstand musste neu entstehen. Nebenbei betrieb ich noch die Männelschnitzerei, dabei versuchte ich einige Dorftypen nachzubilden.
Ab 1950 in der Wohnung am August-Bebel-Platz hatte ich Gelegenheit zur Vorweihnachtszeit einen ganzen Raum zu nutzen. Es entstanden die Bierbude mit Zubehör, der Kraftmesser „Hau den Lukas“ mit Lichteffekt und entsprechender Mechanik sowie die kräftigen Männer am Lukas. Das Kinderkarussell, bisher stumm, erhielt auch Musik.
1952 entstand die „Tanzdiele im Freien“ mit 14 tanzenden Paaren. 28 Tanzfiguren mussten geschnitzt werden. Dazu kamen noch die Musikanten mit ihren Instrumenten und dem sich um 180 Grad schwenkenden und Taktstock hebenden Dirigenten. Ergänzt durch das Musikzelt, die Gartenstühle, die Girlanden, die entsprechende Beleuchtung und der passenden Blasmusik. Das waren Herausforderungen, die wir kaum zu schaffen glaubten, aber es klappte. Wie wir die Besucherströme in unserer Wohnung meisterten, ist uns unklar geblieben.
Langsam wollte ich zum Abschluss kommen. Es folgten noch die Schwanenreitschule und das kleine Ringelspiel, das Kasperletheater. Ein schöner Hintergrund sollte vor dem Himmel als Abschluss dienen. Zum historischen Andenken an unseren alten Kirmesplatz „Am Plan“ nannten wir meine jahrelange Arbeit nunmehr „Erzgebirgische Dorfkirmes“.
Der liebe Einsiedler Kunstmaler Erwin Stoll malte mir 1954 mit viel Geschick unseren einstigen Dorfplatz mit all seinen alten schönen Häusern nach einem alten vergilbten Foto. Auch die Beschriftung oben über der Kirmes stammt aus seiner geschickten Hand.
Ich habe alles in meiner Freizeit von 1935-1960 geschaffen. 400 geschnitzte Figuren sind dabei entstanden. Rund 400.000 Besucher haben mein Werk bis 1982 betrachtet.
Aus der Entstehungsgeschichte der Dorfkirmes. Von Erich Parthey zitiert und nachgeschrieben, Fotoquellen Günther Parthey, Bad Enndorf.
I. Rost September 2015
Soweit also die Geschichte der Dorfkirmes. Wir danken Ingobert Rost für die Abschrift und Ausarbeitung des vorstehenden Beitrages und natürlich auch für die zur Verfügung Stellung.
Wie aus dem Artikel hervorgeht, befindet sich die Dorfkirmes im „Museum für bergmännische Volkskunst“ in Schneeberg und kann dort zu bestimmten Terminen „in Aktion“ besichtigt werden.
Wir wollen an dieser Stelle nachfolgend einige ältere Karten präsentieren, die in der DDR im Umlauf waren und auch heute noch auf diversen Auktionsplattformen erhältlich sind.
Für weitergehende Eindrücke empfehlen wir natürlich einen Besuch der Originalanlage in Schneeberg. Der Plan, wie er auf der gemalten Kulisse im Hintergrund zu sehen ist, wirkt auf die jüngeren Generationen vielleicht vertraut und doch fremd. Die markanten Gebäude oben auf dem Hang gibt es in gleicher oder recht ähnlicher Form noch heute, die flankierenden Häuser unten auf dem Plan haben anglo-amerikanische Bomber 1945 sämtlich zerstört. Und nach der Bebauung in den 1990er Jahren gibt es nun sowieso keinen Platz mehr für eine Kirmes an dieser Stelle. Viele Rummel anlässlich der Einsiedler Kirmesfeste gab es aber zu DDR-Zeiten hier.
Die Kapelle von Karl Ficker spielte zum Tanz, Groß und Klein vergnügte sich beim Kettenflieger, auf der Krinoline oder der Schwanenreitschule mit dem Storch in der Mitte. „Einsiedler Kristall“ an der Bierbude und warme Würstel … so gestärkt haute man wohl den Lukas bis ganz nach oben.
Im Laufe so vieler Jahrzehnte hat unsere Einsiedler Kirmes einige Male den Standort gewechselt. Neben dem Plan fanden wir sie auch auf der Ida-Wiese, auf dem Wex-Platz, im Bereich der unteren Brücke Einsiedler Neue Straße und am Festgarten an der Brauerei. Ihre größte Ausbreitung fand sie aber wohl zu DDR-Zeiten, als neben dem Plan auch die gegenüberliegende Fläche des ehemaligen Gasthofes genutzt wurde.
Unsere Kirmes ist heute eine andere, trotzdem empfehlen wir mit Nachdruck einen Besuch jährlich am dritten Septemberwochenende.
Hinweis:
Es gibt zur „Erzgebirgischen Dorfkirmes“ auch eine DVD von Eva & Rainer Damm aus Dittersdorf aus dem Jahre 2004, die viele visuelle Eindrücke und noch einiges an Hintergrundwissen vermittelt. Wie wir erfahren, ist es möglich, bei beiden eine solche zu erwerben. Zu finden ist das Ehepaar Damm über das Telefonbuch.
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