Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 40
Lehngericht Einsiedel, seit 1868 die Einsiedler Apotheke
Das Lehngericht in Einsiedel auf einem Holzschnitt um 1840. Selbst zum damaligen Zeitpunkt waren die Gebäude wohl schon an die 300 Jahre alt.
Es befand sich im Besitz der Herren von Einsiedel als Lehnrichter mit Amtsgewalt. Aber zum Lehngericht gehörte mehr. Schräg gegenüber die Dorfschänke, die ein Brand vernichtete. Man baute hier dann den „Gasthof Einsiedel“. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts mussten die Inhaber des Gasthofes einen Zins (Grundstücklast) an den Besitzer des Lehngerichts bzw. der nachmaligen Apotheke zahlen.
Ebenso zum Lehngericht gehörte ganz früher die um 1770 errichtete Schmiede in der Hauptstraße 74, die bis 1958 in Betrieb, aber da schon jahrzehntelang vom Lehngericht getrennt war.
Zwischen Schmiede und Lehngericht war der Dorfteich – heute ist hier der Plan. Die Felder des Lehngerichtes lagen an der Eibenberger Straße.
Die Lehnrichter besaßen das Fischrecht in der Zwönitz, die damals allerdings noch „Chemnitz“ hieß. Die Ausrüstung für den Fischfang, also Netze, Kescher und Reusen, hingen an den Außenwänden der Nebengebäude.
Aber selbstverständlich wurde auch gejagt. Dafür gab einen Hundezwinger und ein Rüsthaus, wo man die Geräte für die Wildschwein- und Wolfsjagden aufbewahrte.
Hintergrundwissen Lehngericht:
Auch Erbgericht. Es handelte sich um ein vom Lehnsherrn oder dessen Vertreter und von den Lehnsgenossen (eine Art Schöffen) besetztes Gericht, welches über Lehnsangelegenheiten und zwischen den Lehnsparteien zu richten hatte. Derartige Gerichte gab es fast in jedem Dorf. Es lohnt sich, noch etwas detaillierter zu werden.
„Lehen“ hängt als sprachlicher Ausdruck mit „leihen“ zusammen und man versteht darunter ein sehr weit ausgedehntes Nutzungsrecht an einer fremden Sache. Es war eines vom Lehnsherrn (Senior) an einen Lehnsmann (Vasallen) gegen Dienst und Treue verliehenes Gut, und zwar mit Nutzungs-, nicht mit Eigentumsrecht. Das Lehen bestand meistens aus einen Grundbesitz, konnte aber auch aus Ämtern oder sogar großen Herrschaftsbezirken bestehen und ebenso nutzbare Rechte oder Einkünfte (Zölle usw.) einschließen. In den meisten Fällen verpflichtete das Lehen den Vasallen zum Kriegsdienst und den Lehnsherrn zum Schutze des Lehnsmannes.
Starb eine der beiden Parteien, griff das „Heimfallrecht“, d.h. das Lehen fiel an den Lehnsherrn bzw. dessen Erben zurück. Später wurden die Lehen erblich und konnten auch vom Vasallen nochmals weiter verliehen werden (Afterlehen).
Obwohl die Lehngerichte schon seit einigen hundert Jahren nicht mehr tagen, ist der Name noch immer ein Begriff. Viele Gasthäuser werden auch gegenwärtig im Zusammenhang mit ihrer früheren Nutzung „Lehngericht“ genannt, da früher oftmals ein Schank- und/oder Braurecht damit verbunden waren. Bestes lokales Beispiel ist wohl der „Gasthof Lehngericht“ in Berbisdorf.
In der Einsiedler Chronik von Max List finden wir eine Geschichte aus den frühen Jahren unseres Einsiedler Lehngerichts und um das Braurecht ebenda:
Der Bierkrieg zu Einsiedel im Jahre 1570
Eine Erzählung nach historischen Angaben mit Phantasie, gestaltet von Erich Schemionek
Es war ein sonniger und heißer Herbsttag im Jahre 1570. Da ertönten lustig und übermütig in den Wäldern um Einsiedel die Jagdhörner, denn der Kurfürst August, war höchsteigen hierher gekommen, um seiner Jagdlust zu frönen. Hatte er doch vom Herrn Haubold von Einsiedel, dem die Wälder gehörten, für 600 Meißnische Gulden und etliche Stück Wild, das Jagdrecht erworben. Und der Herr Haubold von Einsiedel war nicht geizig, wenn nach dem Halali sein hoher Gast auf seinem Herrensitz in Dittersdorf bei ihm einkehrte, ließ sich doch da bei froher Tafelrunde so manches abmachen, was sonst auf dem Amtswege unmöglich schien. Aber noch war es am späten Vormittag und die Jagd hatte ihren Höhepunkt noch nicht erreicht.
Da schritten zwei Jägersleute (der Kurfürst u. der Herr von Einsiedel) im erregten Gespräch die Lichtung talabwärts. “Ich habe einen mordsmäßigen Durst”, sagte der Kurfürst. “Ja” sagt der Herr von Einsiedel, “der Richter da unten soll ein gut Bier verzapfen, eine Probe wird uns gewiß nicht zum Schaden sein!”
So kamen sie bald an den Fluß, der mehrmals die Kempnitz geheißen und nach ein paar hundert Schritten flußabwärts erreichten sie das Lehngericht, das an der Stelle der alten Apotheke am Plan gestanden hat. Der Hof des Lehngerichtes wurde von drei Gebäuden umschlossen, dem Wohnhaus, dem Stall und einer Scheune. An der hinteren Front am Berghang zog sich der Garten hin, wo im Gebüsch versteckt eine Laube stand. In der Mitte des Hofes war ein Brunnen, Bierfässer lagen umher, und vor der Haustür waren einige Tische und Stühle aufgestellt. Der Braugeselle, ein kräftiger junger Bursche, der aus Böhmen eingewandert war, hantierte an den Fässern herum. Er war schlechter Laune, hatte er sich doch die Tochter des Richters die Nannerl, in den Kopf gesetzt, aber der Richter wollte keinen hergelaufenen Böhmen, wie er sich ausdrückte, zum Eidam haben.
Die beiden Jäger waren inzwischen in den Hof getreten und da sie ermüdet waren, setzten sie sich an einen der leeren Tische, “Befehlen Euer Gnaden, daß ich die Säumigen an ihre Gastpflicht gemahne?” Versetzte bier- und tatendurstig der Herr v. Einsiedel, zog die Glocke, und nach einer Weile erschien in der geöffneten Tür ein junges Mädchen gut gekleidet, mit einem rotwangigen Gesicht. “Holder Engel!” hub der Kurfürst an zu sprechen, “hier sind zwei halbverdurstete Jäger des Kurfürsten. Willst du unsere Kehlen nicht mit einem würzigen Einsiedler Bier erfrischen?“. “Vom Kurfürsten seid Ihr”, sagte die Kleine freundlich. “Na gut! Ich will Euch ausnahmsweise zwei Maß Bier bringen, wenn ihr mir versprecht, uns nicht in Kempnitz zu verklatschen, denn wir liegen innerhalb der Kempnitzer Bannmeile und dürfen nicht brauen und nicht schenken. Ist das in Ordnung?“, sagt das Nannerl. “In Ordnung ist das nicht”, entgegnete der Kurfürst. “Aber gehet besser mit in die Laube da hinten, da ist ungestört zu trinken und zu plaudern“. Und während die beiden Jäger in der Laube den Gang der Jagd betrachten, gab es im Lehngericht recht aufregende Minuten.
Da kam ein Bauer wie vom Teufel gehetzt daher gerannt, riß fast die Glocke herunter und schrie ins Haus hinein: “Die Kempnitzer kommen! Die Kempnitzer Bierbrauer sind unterwegs!” Aus dem Gewirr der Stimmen, der des Richters, des Braugesellen und der Nannerl hörte man nur heraus, daß die Kempnitzer einen Anschlag auf das Lehngericht vor hatten und bereits in Erfenschlag gesehen wurden. “Es gibt wieder Bierkrieg in Einsiedel, ihr Jäger werdet Zeuge sein!” sagt die Nannerl zu den beiden Jägern die sich immer noch in der abseits gelegenen Laube aufhielten.
Die Nannerl und ein Bauer wurden ins Dorf geschickt, um Verstärkung zu holen. Der Richter und der Braugesell machten sich am Tor zu schaffen, das durch die vergangenen Kämpfe schon stark gelitten hatte. Da kamen der Bauer und Nannerl zurück, sie brachten drei Leute mit. “Ja”, fuhr die Nannerl fort. “Der Uhligbauer, den sie neulich zerschunden haben, weigert sich, und sagt: „Der Einsiedler mag sich mit den Kempnitzern auseinandersetzen, dann brauchen die kleinen Leute keinen Krieg zu machen“. Und solches haben uns die Frauen beim Rößler auch gesagt“! Da schlägt der Richter das Tor zu, der Gesell springt herbei und sagt: “Laßt mich den Wortführer machen!” “Wenn du willst, gut!” sagte der Richter. Inzwischen waren die Kempnitzer von Erfenschlag bis zum Lehngericht gekommen.
Der Kampf begann jedesmal mit einem Wortgefecht, bei dem sich jeder auf sein Recht berief und den anderen des Rechtsbruchs bezichtigte. So war es auch diesmal. Die Kempnitzer kamen mit zwanzig Mann anmarschiert, teils mit Stöcken, teils mit Brecheisen bewaffnet. Sie stellten sich vor dem Tor auf und gaben durch laute Rufe ihre Anwesenheit zu erkennen. Als sich der Bauer auf dem Hof zeigte, trat auf der anderen Seite ebenfalls ein Sprecher vor, und nun begann folgendes Zwiegespräch:
Der Kempnitzer: “Bist du geschickt mit uns zu verhandeln?”
Der Einsiedler: “Ich bin’s!”
Der Kempnitzer: “So bringen wir erneut unsere Anklage vor. Wir, die Innung der Bierbauer zu Kempnitz, beschuldigen Euch Richter zu Einsiedel, daß Ihr den Erlaß des Landesherrn von Anno 1334 sowie das Recht der Innung sträflich verletzt und gebrochen habt. Der Erlaß, den ich aus dem Lateinischem wortgetreu übersetzt hier zur Vorlesung bringe ist folgender: Wir, Friedrich, Markgraf von Meißen, erachte jenes alte Gewohnheitsrecht, das Schenken, Handwerke und sonstige Betriebe innerhalb einer Meile rings um Kempnitz verbietet, für gut und recht, weshalb wir es bestätigen, genehmigen und billigen. Wir untersagen allen und jeden unter Androhung unserer schweren Ungnade innerhalb einer Meile rings um Kempnitz irgendwie Schänken, Schuh- und Schneiderstätten und andere handwerksmäßige Betriebe zu halten oder durch jemand zu halten, mit Ausnahme derer, die sich auf uralte Abmachungen berufen können!”
Der Einsiedler: “Dem Erlaß stimmen wir voll u. ganz zu. Wir verweisen dabei auf den letzten Satz, wo geschrieben steht: „Mit Ausnahme derer, die sich auf uralte Abmachungen berufen können“.
Der Kempnitzer: “Wir Kempnitzer behaupten, daß eine derartige Abmachung nirgends vorhanden ist. Auch im Grimmschen Vertrag von 1555 ist den Einsiedlern das Bierbrauen nicht erlaubt.“
Der Einsiedler: “Hierzu ist zu erwidern, daß der Herr von Einsiedel in seinen Dörfern eigene Gerichtsbarkeit hat und sie also nicht dem Kempnitzer Recht unterstellt sind. Was aber den Grimmschen Vertrag anbelangt, so steht auch darin, daß die Kempnitzer keine Gewalt anwenden sollten, sondern die ordentlichen Gerichte anzurufen haben.“
Der Kempnitzer: “Habt ihr uns noch was mitzuteilen?“
Der Einsiedler: “Wir verurteilen Eure Handlungsweise und werden beim Kurfürsten Einspruch erheben. Wir sagen: Geht heim und nehmt Vernunft an!”
Das war das Signal für die Kempnitzer zum Angriff. “Tut was Euer Rechtens ist” rief der Sprecher der Kempnitzer und trat zur Seite, dieweil ein Steinhagel gegen das Tor prasselte.
Der Kurfürst, welcher noch immer mit dem Herrn von Einsiedel abseits in der Laube saß, und den Meinungsstreit gehört hatte, fieberte vor Erregung. Diese Räuber mißachteten seine Gesetze und machen Krieg im eigenen Land. “Also ob wir keine Gerichte hätten!” sagte er, “denen werd ich´s noch zeigen, wer Herr im Staat ist!”
“Aber der Bursch da ist prächtig, wie er das Recht vertrat!”
Die Einsiedler hatten sich inzwischen in das Haus zurückgezogen, denn das Tor krachte in allen Fugen und mit einem Male stürzte es zusammen. Nun ginge es mit Brecheisen gegen die schwere Eichentür des Wohnhauses vor, man riß sie aus den Angeln und der Weg ins Hausinnere war frei.
Der Herr v. Einsiedel näherte sich klopfenden Herzens und spähte vorsichtig in den dunklen Hausflur hinein. Dort war der Teufel los. Man wuchtete Türen ein, schlug wild um sich und fluchte und schrie, dazwischen klirrten Scheiben, Kübel und Braugeräte flogen durch die Fenster auf den Hof. Die Einsiedler, die sich vor der Übermacht in ein sicheres Versteck geflüchtet hatten, wagten einen neuen Vorstoß, um zu retten, was noch möglich war. Der Richter schlug in seiner Wut allein drei Kempnitzer zu Boden. Auch der Braugeselle hieb wacker um sich und tat sein bestes. Aber bald ließen die Kräfte nach und die rasende Meute holte zum letzten Angriff aus. Mit Rufen: “Schlagt sie tot!” drängten sie ein paar Verteidiger in die Enge und hätten ein furchtbares Ende bereitet, wenn nicht der Herr von Einsiedel so laut als er konnte, geschrien hätte: “Haltet ein! Der Kurfürst kommt!” Und wie eine Lawine ging’s von Mund zu Mund: “Der Kurfürst kommt!” In diesem Augenblick hatte der Fürst die Laube verlassen und war über den Hof gesprungen; kochend vor Wut stand er vor der Tür. – Da kamen sie heraus wie arme Sünder blutend, zerschlagen und mit zerfetzten Gewändern. Sie knieten sich vor dem Fürsten nieder. Einer sprach: “Durchlauchtigster Herr! Wir haben nur unser Recht verteidigt. Nach dem Grimmschen Vertrag. “Red er nicht von Vertrag und Recht!” brauste der Kurfürst auf, “Mordbrenner seid Ihr, die weder Gesetz noch Recht respektieren. Noch gibt´s Gerichte im Land, und was den Gimmschen Vertrag anbetrifft, so werd ich Klarheit schaffen, das könnt Ihr sicher sein! Was aber diesen Raubzug anbelangt, so sollt man Euch als Aufrührer allesamt aufhängen!” “Gnade! Hoher Herr!” ging es durch die Reihen. Andere sagten: “Erlauchter Herr! Wir sehen ein, daß wir unrecht gehandelt haben und keine Gewalt anwenden durften. Wir werden den Einsiedlern Genugtuung geben und den Schaden ersetzen. Wegen der Strafe aber bitten wir alluntertänigst um Nachsicht!” “Geht mir jetzt aus den Augen!” befahl der Fürst. “Ihr werdet in Kempnitz von mir hören!” Da wankten sie zum Tore hinaus mit bleichen Gesichtern u. zerknirschten Minen.
Der Kurfürst sah sich umringt vom Richter und seinen Gefolgsmännern, die durch tiefe Bücklinge ihre Unterwürfigkeit bezeugten. Der Richter wollte Worte des Dankes vorbringen, aber der Fürst wehrte ab und sagte: “Verbindet erst Eure Schmarren und wascht Euch das Blut aus dem Gesicht, dann wollen wir uns zusammensetzen und die Sach bereden!” So saßen sie nun zwischen den Trümmern der glücklich beendeten Schlacht, zwischen Holzkübeln, Glasscherben, losgerissenen Brettern und allerlei Hausgeräte und besprachen die Ereignisse des Tages.
Inzwischen kam der Wirt zurück und bat die Herren in sein Gästezimmer. “Ich bitte Euer Durchlaucht und Euch, verehrter Herr von Einsiedel, einen kleinen Imbiß bei mir einzunehmen. “Hoffentlich macht Ihr mir kein Gericht!” sagte lächelnd der Herr von Einsiedel, ich habe zwar ältere Rechte als die Kempnitzer, aber es ist an der Zeit, durch landesherrlichen Erlaß diese erneut kundzutun. Der Fürst sagte zu, und die beiden führten, weiter in das Gespräch vertieft, den hohen Gast ins Haus.
Während die Herren im Lehngericht zu Tisch saßen, räumten Nannerl und der Geselle im Hof die Scherben zusammen. Der Richter aber sagte zu beiden: “Da hat mir der Fürst versprochen, daß Einsiedel sein eigen Bier brauen und verzapfen darf, ja, es soll auch einen neuen Wirt haben, sozusagen ein neues Wirtspaar, und das sollt Ihr Nannerl und Gesell miteinander sein.”
So macht ein seltsames Zusammentreffen Weltgeschichte.
Max List
Ein anderer Heimatforscher, Otto Kämpfe alias Ernst Einsiedler, hat 1940 über die hiesigen Lehnrichter geschrieben:
Wir sehen vor uns das alte Herrenhaus des ehemaligen Lehngerichts, in dem sich jetzt die Apotheke befindet. Es ist wohl eins der ältesten und schönsten Häuser von Einsiedel, dessen nach Süden gelegene Front mit dem schönen Fachwerk und den Rundbogenfenstern im Erdgeschoß einen köstlichen Anblick bietet, der im Herbst durch das Leuchten des wilden Weines noch erhöht wird. Die Nebengebäude des alten Lehngerichts sind schon vor vielen Jahren niedergelegt worden und der Hof, der, ehemals vom geschäftigen Treiben der Landwirtschaft erfüllt war, ist zum Obstgarten geworden. Aber um das alte schöne Haus gaukeln noch immer die Geister einer vielhundertjährigen Vergangenheit. Wenn das Lehngericht entstanden ist, darüber liegen leider keine Nachrichten vor. Aber wir wissen, dass ein George Uhlich von 1681 bis 1720 Erb- und Lehnrichter, wie auch bestellter Jäger und Förster war. Er starb am 26.10.1720 und ihm folgte im Amte sein ältester Sohn Johann George Uhlich, geboren anno 1681. Dieser hat das Lehnrichteramt 14 Jahre innegehabt, ihm folgte am 4.4.1737 sein ältester Sohn, der Jäger George Friedrich Uhlich. Wie langer dieser im Amte gewesen ist, darüber liegen keine Nachrichten vor, fest steht aber, dass bereits 1778 Gabriel Schaarschmidt hier Lehnrichter gewesen ist, dass also das Lehngericht vermutlich durch Kauf von der Familie Uhlich an die Familie Schaarschmidt übergegangen ist. Gabriel Schaarschmidt starb 90-jährig im Jahre 1834, nachdem er schon 1802 seinen Sohn Gotthold Schaarschmidt mit der Nachfolge betraut hatte. Lehnrichter Gotthold Schaarschmidt starb am 10.5. 1854. Er ist bis 1836 Lehnrichter gewesen, ihm folgte sein Sohn Louis Imanuel Schaarschmidt, der dann der letzte Lehnrichter von Einsiedel war. Die Äcker und Felder wurden verkauft und der landwirtschaftliche Betrieb eingestellt. Die Nebengebäude verschwanden, nur das Herrenhaus blieb übrig. Darin befindet sich nun die Apotheke.
Es war vermutlich in den 1860er Jahren, wo Scheune und Stallung niedergerissen wurden. Nachdem auch die Lehngerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wurde, richtete man ab 1868 jetzt hier im Hause die Apotheke ein. In dieser Funktion sehen wir das Gebäude auf den beiden nachfolgenden Aufnahmen, zwischen beiden liegen auch einige Jahrzehnte.
Erster Einsiedler Apotheker wurde 1868
Carl Theodor Mauersberger
Er amtierte nach Quellenlage 30 Jahre lang bis 1898 und verstarb 1909.
Allerdings finden wir nachfolgend eine abweichende Offerte aus dem Einsiedler Adressbuch von 1897, hier hat sein Nachfolger
Albin Köhler
schon annonciert.
Bereits 1900 übernahm dann
Curt Martius
als sehr geachteter Mann die Apotheke. Er arbeitete 1896 in der Chemnitzer Löwenapotheke und nutzte in Einsiedel die Gelegenheit, sich selbständig zu machen. Sein Bildnis links stammt aus dem Buch „Geschichte der Familie Martius – Stammbuch der Martier – Erinnerungen Carl Alexander von Martius. In 3 Teilen. Teil 2, S. 42, 1896.“ (Berlin, Selbstverlag) und wurde von Hendrik Martius bereitgestellt. Dieser führt auch eine Website der Familie Martius, wo wir weitere interessante Details aus dem Leben von Curt Martius erfahren.
Rechts eine Annonce aus den Jahre 1905. Das dort eingefügte Foto zeigt uns Curt Martius und dessen Ehefrau Charlotte (die linken Personen) im Obstgarten des Lehngerichtes. Früher, vor dem Abriss der beiden anderen Gebäude, war hier der Innenhof.
Curt Martius´ Nichte
Annelies Martius
wird die Apothekertätigkeit als Nachfolgerin ihres Onkels bis 1949 fortführen. Es ist derzeit unklar, wann sie die Geschäfte übernahm. Rechts eine Annonce aus dem Jahre 1936, hier ist noch ihr Onkel als Apotheker genannt.
(Annonce: Hans-Christian Günther)
In unserem Archiv finden wir auch einen kleinen Bericht eines uns unbekannten Autors über das Märchenspiel „Hänsel & Gretel“, welches 1940 hier in der Apotheke aufgeführt wurde. Wo sollen´s wir einfügen, wenn nicht hier …
Allerdings gab es bei der Apotheke ebenfalls den gravierendsten Einschnitt in die Entwicklung, den der Ort jemals durchlebt hat – das Bombeninferno am 5. März 1945 zerstört auch dieses Gebäude völlig. Als Provisorium wurde nun die Apotheke im Anbau des Gebäudes Hauptstraße 60 geführt. Arzneimittel mussten von auswärts bezogen werden, denn hier gab es keinerlei Lagermöglichkeit, sondern nur den Verkaufsraum. In der Chronik von Max List lesen wir von einer Werra Stolz, die sich sehr um die Beschaffung bemüht haben muss und hier nicht unerwähnt bleiben soll.
Das Gebäude in der Hauptstr. 60 im Jahre 2008. Links der Anbau, in dem sich nach dem Krieg die Apotheke befand.
Zwischen 1949 und 1951 errichtete man nun an gleicher Stelle eine neue Apotheke. Es gab Finanzierungsprobleme und die verfügbaren Geldmittel reichten vorerst nur bis zum Dachstuhl. Der Bau ruhte ein Jahr, das Projekt wurde geändert und sah jetzt den Einbau von Wohnungen im Obergeschoss vor.
Wie umfassend diese Änderungen waren, zeigen die beiden nachfolgenden Fotos. Zuerst erhielten wir die linke Aufnahme (Am Plan). Hier mussten wir uns erst einmal rückversichern, dass es sich bei dem Rohbau im Hintergrund um die Apotheke und somit um Einsiedel überhaupt handelt. Die Topografie („Schulberg“) passte ja, aber der Rohbau wich nicht nur an der Dachform, sondern auch von der Fensteranordnung gravierend vom finalen (auch heutigen) Aussehen ab. Gewissheit, dass es sich um die Apotheke handelt, brachte dann auch die Aufnahme unten rechts im Kreuzungsbereich Hauptstr./Neue Str.
Das Gebäude, als es dann fertig gestellt war, hatte jetzt einen ganz anderen Baustil als sein Jahrhunderte alter Fachwerkvorgänger. Massiv gebaut und fast quadratisch, erreicht es nicht die Tiefe des ehemaligen Lehngerichtes.
Das nebenstehende Foto ist aus den 1950er Jahren. Man achte auch auf die Kirchenruine im Hintergrund. Der Turn ist mit einem Notdach bedeckte, auf dem Kirchenschiff fehlt dieses noch völlig.
Aber nicht nur die Apotheke war neu, sondern auch das Personal. Nebenstehend eine Aufnahme aus den 1950er Jahren. Wir sehen hinten die Apothekenhelferin Ilse Schalich aus Einsiedel und neben ihr Apotheker Fritz Pohl. Die Frau im Vordergrund ist nicht bekannt.
Die Apothekerin Barbara Handrick (geb. Groß) wird später die Nachfolge Pohls antreten.
Der rückwärtige Anblick, von der Kirchgasse aus, hat sich in den Jahrzehnten geändert. Bei der Apotheke ein wenig, beim tiefergehenden Blick in den Ort recht deutlich.
Aufnahme links um 1960, rechts am 21. September 2014.
(Foto links: Hans Morgenstern)
Unterhalb unseres Standortes, direkt im Berg, befand sich früher ein Felsenkeller, der im Krieg als Luftschutzraum genutzt wurde. Er wurde nach Kriegsende wegen Einsturzgefahr verfüllt und verschlossen.
Links die Apotheke 1982. Seit 1974 fehlt die Linde vor dem Gebäude, die in jenem Jahr ein heftiger Sturm umgerissen hatte.
(Foto: Wolfgang Röhr)
Im Sommer 1965 kaufte Dieter Neumer das Grundstück und wird Einsiedler Apotheker. Er führte die Apotheke durch die Wendezeit und in den 1990er Jahren wurden Gebäude und Apothekenräume umfassend saniert.
Seine Tochter Dr. Carola Neumer übernahm das Geschäft 2001.
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- postum bei den Einsiedler Heimatforschern Richard Möbius, Otto Kämpfe und Max List
Umfassende Seiten wie diese -speziell der historische Teil- sind nur möglich, weil lange vor dem Heimatwerk Einsiedel andere Heimatforscher Unzähliges erforscht und niedergeschrieben haben. - Bernd Obermaier … der uns die Geschichte „Der Bierkrieg zu Einsiedel“ als elektronische Vorlage überließ
- Ingobert Rost … welcher uns den Artikel über die Lehnrichter als Kopiervorlage zugänglich machte und durch seine Forschungen viele Daten zu dieser Seite beisteuerte
- Carola Neumer … die mit einigen wichtigen Daten unsere Geschichte vervollständigte.
- Hendrik Martius … der Daten zu Curt und Annelies Martius ergänzte und berichtigte