Offizielle Bezeichnung: km 10,594 CA
Die Eisenbahnbrücke neben der „Oberförsterbrücke“
Sie ist groß und ungefähr 100 Jahre alt. Sie steht an prominenter Stelle und wird doch von den meisten kaum wahr genommen. Aber für die Eisenbahnstrecke Chemnitz – Adorf („CA“, heute nur noch bis Aue) war und ist sie unerlässlich.
Und darum wollten auch wir eine kleine Seite über dieses wichtige Bauwerk erstellen.
Diese dreigliedrige Brücke wurde 1926 errichtet, ist 71 Meter lang und für 80 km/h zugelassen, die dort aber nicht gefahren werden.
Bei der Dia-Aufnahme oben sehen wir rechts neben dem rechten Pfeiler den Vorfluter*. Diesen gab es in Verbindung mit der „Oberförsterbrücke“. Der Vorfluter existiert heute nicht mehr, da er 1992 bei der Komplettsanierung der „Oberförsterbrücke“ zugeschüttet wurde. Eine Mauer verbindet jetzt die rechten Pfeiler der beiden Brücken.
*Vorfluter: (Vorflut = Vor der Flut), also das Areal, das bei Hochwasser selbiges aufnehmen und im Flussbett weiterleiten kann.
Im Gegensatz zu ihrer unmittelbaren Nachbarin, der „Oberförsterbrücke“, hat dieses eiserne Bauwerk, wie auch die anderen Eisenbahnbrücken hier an der Strecke, keinen offiziellen oder umgangssprachlichen Namen. Diese Brücken werden nach ihrem Streckenkilometer benannt, hinter dem das Streckenkürzel geschrieben wird. Hier ist es der km 10,594 CA, der Einfachheit halber auf dieser Seite gerundet: 10,6.
Die Kilometrierung bei der Eisenbahn ist ein Kapitel für sich, wir sollten einen Experten befragen …:
Die Kilometrierung bei der Streckenplanung begann am damaligen Startort der Strecke im Bahnhof Altchemnitz, heute Chemnitz-Süd. Nach der Verstaatlichung 1876 wurde die Strecke bis zum Chemnitzer Hbf verlängert bzw. die vorhandene Anbindung für den Güterverkehr auch für den Personenverkehr benutzt. Diese Strecke zwischen C-Süd und Hbf beträgt ca. 1,8 km. Unsere heutige Kilometrierung bezieht sich vom Hbf aus. Der km 0,0 befindet sich ungefähr dort, wo damals 1876 die Bahnsteige der Strecke nach Adorf waren, knapp außerhalb der Bahnhofshalle. Wenn man auf dem nachfolgend beigefügten Bahnhofsplan von 1912 den km 10,7 sucht, also kurz nach der Zwönitzbrücke, dann findet man dort die Angabe „107“ neben dem Gleis bahnrechts (rechts ungerade, links gerade). 107 deswegen, weil die Steine damals fortlaufend gezählt wurden. Man sprach damals auch nicht von km 10,7, sondern Station 107. Erst später wurden in die Steine die Kommastellen eingezeichnet bzw. dann in den 1920er-Jahren die Betonsteine gesetzt, die es heute noch gibt.
Silvio Müller
Aber zurück zum Plan. Neben der Station 107 befindet sich auf der Gleisachse die Zahl 89. Das war die Ursprungskilometrierung vom damaligen Bahnhof Altchemnitz aus. Also nach heutiger Schreibweise der km 8,9. Die ursprüngliche CA-Grenze beim Bau war ungefähr bei der heutigen Brücke Bernsdorfer Straße. Und von dort aus sind es noch genau 1,8 km bis zum Hbf (8,9 + 1,8 = 10,7).
Bevor diese Brücke, wie wir sie heute kennen, über die Zwönitz errichtet wurde, gab es hier an gleicher Stelle eine Bogenbrücke mit unten liegenden Gleisen resp. oben liegenden Bögen.
Leider besitzen wir keine Nahaufnahmen dieses Bauwerks, wir konnten uns aber helfen und präsentieren nachfolgend zwei Aufnahmen, die uns einen visuellen Eindruck vermitteln.
Nach 50 Jahren Betrieb musste die Brücke durch einen Neubau ersetzt werden. Man entschied sich jetzt aber für eine Balkenbrücke, wie schon beim Vorgänger aus drei Einzelfeldern bestehender vollwandiger, genieteter Stahl.
Oben und nachfolgend zwei historisch sehr wertvolle Aufnahmen vom Baugeschehen, beide 1926. Wir blicken in Richtung Bahnübergang Hauptstraße. Noch ist die Bogenbrücke zu sehen, sie liegt auf den langen, betonierten und mit Steinplatten verkleideten Pfeilern, die später eine weitere Brücke für das geplante zweite Gleis tragen sollten. Diese „Verlängerung“ gibt es noch heute.
Auf dem Foto lagert dort die bereits demontierte Bogenbrücke bis zu deren Abtransport in Einzelteilen. Sie ist sehr wahrscheinlich verschoben worden, denn das Gleis lag in landwärtiger Richtung stets auf der rechten Seite, so, wie oben sichtbar. Es ist durchaus möglich, dass beide Brücken für einige Wochen oder Monate genutzt wurden, um Streckensperrungen so kurz wie möglich zu halten.
Unklar ist, wie lange die Strecke für diese Brückenbauarbeiten gesperrt wurde. Auch vor dem Hintergrund, dass die beiden anderen Einsiedler Eisenbahnbrücken in Höhe „Einsiedler Brauhaus“ und „Sägewerk Kunze“ 1927 erneuert wurden.
Die Eisenbahn war damals der Hauptverkehrsträger, sowohl für Güter als auch Personen. Mehrjährige Streckensperrung wie heutzutage wegen überbordender Bürokratie oder weil angeblich ein seltenes Insekt gesichtet worden sei, gab es damals keinesfalls. Hier ist weitere Recherche nötig …
Schön zu wissen, wenn’s das Foto schon hergibt: am linken Rand die Gebäude und das Grundstück Seilerstraße 3. Hier arbeitete bis zum Jahre 1898 der letzte Einsiedler Seilermeister Eduard Felber, dessen Berufsbezeichnung der Straße den Namen gab.
Das Grundstück zieht sich entlang der Zwönitz in südöstlicher Richtung. Diese Fläche war seinerzeit notwendig, um die hergestellten Seile zu spannen.
Zurück zur Brücke …
Ein Blick von der Seite. Der Fotograf stand nicht etwa im Wasser, sondern wohl auf dem Hilfsgerüst, welches auch auf dem Bild darüber zu sehen ist.
Aber es gibt mehr zu sehen: der untere Bereich des Bockkrans, der im Bild darüber zur Gänze dargestellt ist und im Hintergrund sehen wir noch schemenhaft das Forsthaus. Und auch den „Zehnender“, der dort am Giebel befestigt war, erkennt man. Er „schaut“ in Richtung Hauptstraße.
Auch interessant, die großen, hölzernen Stützen des Hilfsgerüstes. Diese wurden nach Abschluss der Bauarbeiten nicht herausgezogen, sondern großzügig abgesägt. Bei Niedrigwasser finden wir diese noch heute vor.
Die Aufnahme oben datieren wir auf etwa 1942. Auch hier lohnt ein Blick über die Brücke hinaus – links des Baumes ist das „Etablissement Waldesrauschen“ schemenhaft zu erkennen.
Aber auch der beste Stahl und tadellose handwerkliche Arbeit überdauern so viele Jahrzehnte nicht ohne Wartungen oder Instandsetzungen. Und so wurden und werden an der Brücke immer wieder diverse Arbeiten durchgeführt.
Kurzes Abschweifen: Im Juni 2004 feierte Einsiedel sein 750-jähriges Bestehen. In der Festwoche gab es auch eine große Fotoausstellung mit unzähligen alten Bildern und Dokumenten. Diese hat den „Chefredakteur“ des Heimatwerkes Einsiedel so beeindruckt, dass daraus ebendieses entstand. Von Anfang an als Webpräsentation geplant, entstanden am 15. Juli 2004 die ersten Seiten, seinerzeit noch unter einsiedel.info abrufbar.
Das Foto oben wurde am 28. April 2004 aufgenommen, als die ganze CA-Strecke umfassend saniert wurde. Es war in einer Zeit, wo hier das Interesse an heimatgeschichtlichen Vorgängen sicher da war, aber eine fotografische Dokumentation bis jetzt nicht erfolgte. (Die Fotoausstellung in der Schulaula war ja auch noch nicht eröffnet.)
Die Brücke wird kurze Zeit später völlig mit festen Planen eingehaust sein, denn sie wird sandgestrahlt. Wir haben einige Male mit den sehr freundlichen Arbeitern dort gesprochen. Das ging aber über Small Talk nicht hinaus, ans Fotografieren oder Filmen hatte seinerzeit keiner gedacht. Ein Sachverhalt, der heutzutage so garantiert nicht mehr vorkommen würde. Jetzt heißt es immer à la Bill Ramsey: „Mach ein Foto davon!“.
Nun, wie dem auch sei, wir sind froh, die obige Aufnahme zu haben. Zeigt sie doch die Brücke ohne Schwellen und Gleise, bereit zur Instandsetzung. Die Schwellen wurden übrigens schon einmal im März 1991 erneuert.
Selbstverständlich gab es auch vorher Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten, auch wenn wir sie nicht dokumentiert haben.
Im Zuge der erneuten Streckensanierung für das Chemnitzer Modell war die Strecke ab Mitte September 2018 über drei (!) Jahre komplett gesperrt. Die Brücke km 10,6 wurde dieses Mal nur in geringerem Umfang ertüchtigt. Es erfolgten Neuverfugungen an den Pfeilern und oberflächlicher Rostschutz auf einigen wenigen Stahloberflächen (rechts zu sehen, die graue Farbe).
Aber technisch wurde sie angepasst, ein 500 Hz-Magnet (links, wird später noch plan ausgerichtet) überwacht jetzt die Geschwindigkeit der Züge bei der Passage des Bahnübergangs und der Einfahrt in den Bahnhof, wenn dessen Ausfahrtsignal „Halt“ (rot) zeigt.
Zusteigende am Einsiedler Bahnhof haben sicher schon bemerkt, dass bei Einfahrt einer Bahn regelmäßig am Ausfahrtsignal bereits „Fahrt“ (grün) gezeigt wird. Die „5“ darüber bedeutet mit max. 50 km/h.
Sie sind die Kontaktpunkte zwischen Über- und Unterbau und müssen so beschaffen sein, dass sie die erforderlichen Dreh- und Kippbewegungen sowie Verschiebungen ermöglichen und eine zwängungsarme Übertragung der Auflagekräfte ermöglichen. Das tun sie seit 100 Jahren …
Die „gelben Dinger“ sind sogenannte Gleisanschlusskästen, hier für den 500 Hz-Magnet, den wir oben beschrieben haben.
Schlussendlich wollen wir noch vier ältere Aufnahmen präsentieren. Sie zeigen – ja was wohl – die Eisenbahnbrücke km 10,6. Sie sind oft ähnlich, aber warum sollen sie nur ungesehen in unserem Archiv lagern?
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- Silvio Müller
Passende, ergänzende Artikel zu dieser Seite:
- Die Nachbarin: die „Oberförsterbrücke“
- Altenhainer Allee 2: Das ehemalige Forstamt Einsiedel
- Anton-Herrmann-Straße 47: „Etablissement und Gesellschaftshaus Waldesrauschen“
Eisenbahnbrücke 10,6 CA
Aufwändig recherchiert ! Der Autor ist ganz offenbar „eisenbahn-affin“
und wohl auch vom Fach.
Mich interessiert an dieser Seite besonders das eine Foto
vom Knorrberg über Ostheim zur Ortsmitte. (nicht die Vergrößerung)
Darauf zu sehen (links unten) das Wohnhaus Herrmannstr. 10, welches nach 1945 auch nicht mehr da war.
Es berührt aber meine private Dokumentation zur Familiengeschichte, denn damals war es eines der Elternhäuser.
Bisher kenne ich davon nur das Ruinen-Foto von Fa. Foto-Kratzsch.
Also: wie schon am Telefon angesprochen – ich hätte gern eine Kopie
von diesem Bild. freundliche Grüße !