Strumpffabrik Wehner & Rudolph (WeRu)
Wie so oft, begann auch die Karriere von Wehner & Rudolph in ganz bescheidenen Verhältnissen.
Es war im Jahre 1921, als man im Gebäude Herrmannstraße 4 (“Rudolph-Haus”) mit dem Großhandel von Strumpfwaren begann. 1922 wurden die ersten Maschinen der Firma Schubert & Salzer AG geliefert und man begann mit der Produktion von sogenannten Buntsocken.
Es war eine Zeit, als eben diese Buntsocken (Ringelstreifen u.ä. Muster) in Mode kamen, nachdem wenige Jahre zuvor halb Europa zum Großteil nur Militärsocken produzierte.
Alsbald reichten die Räumlichkeiten für die Produktion nicht mehr aus und man zog in die Hauptstraße 56, um auch hier nach kurzer Zeit wieder an die Kapazitätsgrenzen zu stoßen. Der Erhöhung des Maschinenparks konnten die gemieteten Betriebsräume nicht mithalten.
1925 war es dann, als man im Grundstück Bergstraße 9 ein erstes Fabrikgebäude errichtet. 1927 kaufte man auch das Gnaucksche Gut (Nachbargrundstück Bergstraße 7) dazu, so dass in mehreren Bauabschnitten weitere Gebäude errichtet wurden. Der Erweiterung der Raummöglichkeiten folgte eine Aufstockung des Maschinenparks.
Nebenstehend sehen wir einen Briefkopf, welcher den Bauzustand nach Fertigstellung des ersten Bauabschnittes in etwa wiedergibt.
(Vorlage: Jürgen Krauß)
Eine Werbeannonce aus dem Jahre 1924.
Zum Zeitpunkt produzierte man noch in der Hauptstraße 56.
(Vorlage: Ekkehard Mühlmann)
1935 – man beschäftigte mittlerweile 75 Personen – wurden zwei weitere Etagen aufgestockt.
Rechts eine Reklameanzeige aus dem gleichen Jahre, daneben ein Briefkopf (datiert 1938), der das Gebäude noch im altem Zustand, also ohne die Aufstockung zeigt.
(Anzeige: Hans-Christian Günther, Briefkopf: Jürgen Krauß)
1939 – vor Kriegsbeginn – produziert Wehner & Rudolph mit 250 Maschinen täglich ca. 9.000 Paar Strumpfwaren aller Art, die Belegschaft ist auf etwa 170 Personen angestiegen.
Im anglo-amerikanischen Bombenterror am 5. März 1945 wurden Haupt- und Nebengebäude erheblich zerstört, sämtliche Maschinen wurden vernichtet.
(Foto links: Haus & Grund Einsiedel)
1946, als nebenstehende Zeichnung von Walter Viertel entstand, begannen zögerliche Wiederaufbaumaßnahmen, anfangs nur am Hintergebäude.
Acht Personen fanden hier vorerst wieder Arbeit.
1948 wurde eine Idee des Spulmeisters Martin Winkler aufgegriffen, in dem man aus Textilabfällen wieder neuwertiges Stopfgarn herstellte.
Jährlich konnten 60 Tonnen Stopf- und Strickgarne aus 100 Tonnen Textilabfällen gewonnen werden. Diese Wiederaufbereitung erfolgte in Nebenproduktion, Hauptprodukt waren nach wie vor Socken. Die Belegschaftsstärke konnte sukzessive auf ca. 240 Personen gesteigert werden, viele davon arbeiteten als Heimarbeiter.
In den 1950er Jahren erfolgte dann auch der Wiederaufbau des Hauptgebäudes, wenn vorerst auch nur im unteren Teil produziert wurde. Geschäftsführer und Betriebsinhaber der nach wie vor privaten Firma waren Gottfried Wehner und Gotthard Rudolph, ab 1. Oktober 1958 mussten sie eine staatliche Beteiligung akzeptieren.
1959 arbeitet man unter nahezu vollständiger Ausnutzung der Kapazität mit 172 Beschäftigten.
Links ein Foto aus den 1950er Jahren. Recht gut erkennen wir im Vordergrund die “Doktorbrücke”, die auch heute noch so genannt wird.
(Foto: Wolfgang Röhr)
So sich die Gelegenheit ergab, wurden auch Speditionsleistungen ausgeführt und abgerechnet, wie hier am 13. Juni 1956.
1959 kam es während des Jahresurlaubes, als der Betrieb geschlossen war, zu einem Großbrand, der das Hauptgebäude erneut völlig zerstörte.
Die Brandursache konnte nie geklärt werden, Brandstiftung wird vermutet.
Auf dem rechten Foto erkennt man Textilien (Textilabfälle?), die getrocknet werden, um sie wieder zu verwenden.
Auf dem Foto links sehen wir die abgelagerten Baumaterialien für die Neuerrichtung des Dachstuhles. Der Wiederaufbau erfolgte zügig.
(Fotos: Jürgen Krauß)
1960 werden neuentwickelte Doppelzylinderautomaten eingeführt. Auf Grund dieser Rationalisierung ging die Belegschaftshöhe auf 150 Personen zurück. Zeitgleich lief die Nebenproduktion mit den wiederaufbereiten Textilabfällen aus, da für Strickgarne mittlerweile genügend Neumaterial verfügbar war.
Rechts: Brandschutzkontrolle im August 1969.
Auf Grund schlimmer Erfahrungen der Vergangenheit sollten die Mängel wohl zeitnah behoben werden.
(Vorlage: Freiwillige Feuerwehr Einsiedel)
Das 50jährige Betriebsjubiläum 1971 feierte man noch als halb-private Firma, ein Jahr später war damit Schluss.
WeRu wurde Volkseigentum und nennt sich fortan: “VEB Buntsocke Einsiedel”.
(Foto: Thomas Schwebe)
1974/75 erfolgten Neuinvestitionen im Sozialbereich (moderner Speiseraum, WC mit Kläranlage, Pflanzen in den Fabriksälen sowie Errichtung eines Ferienheimes in Bad Saarow).
Belegschaftsstärke 1975: 135 Personen, man produziert in diesem Jahr etwa 2.140.000 Paar Herrenbuntsocken, wovon 60% exportiert werden.
1979 wurden dann 2.690.000 Paar Socken hergestellt.
Sofort nach der Wende, noch im Jahre 1990, erfolgt die Schließung. Aus diesem Jahr stammen auch die beiden nebenstehenden Fotos.
(Fotos: Jürgen Krauß).
Fortan bewegte sich in der Berggasse 9 keine Maschine mehr, eine Fabrikruine wie so viele im ostdeutschen Raum stand auch in Einsiedel.
Die nebenstehenden Fotos (Peter Hollstein) stammen aus dem Jahre 1996.
Es fehlte nach der Wende nicht an Ideen, die Fabrik oder wenigstens das 8.000 m² große Grundstück zu nutzen. Indes – realisiert wurde lange Zeit keine. Ein wichtiges Kriterium ist die Zufahrt, die Berggasse ist sowohl was die Breite der Straße als auch die Stabilität des Hanges betrifft, keinen ständig fahrenden Baumaschinen und schweren Lkw gewachsen.
Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Niederschrift der öffentlichen Ortschaftsratssitzung vom 5. Mai 2010, wo erneut ein Bauvorhaben für dieses Grundstück vorgestellt wurde (Seite 2).
Im Sommer 2012 wurde das Thema Bebauung dann wieder aktuell. In der Sitzung des Ortschaftsrates vom 29. August 2012 finden wir in der Niederschrift auf Seite 2 unter der Überschrift “Einfamilienhaus in zweiter Reihe – Berggasse 9” einige Informationen.
Die dort angesprochene Schornsteinsprengung wurde am 4. September 2012 um 13:00 Uhr realisiert. Siehe dazu das folgende Video, freundlicherweise von Alice Börner zur Verfügung gestellt.
Am 13. November 2012 finden wir dann hier einen Minibagger und ein Hinweisschild vor … mal sehen, wie es weiter geht.
2013 kam Bewegung in das Baugeschehen hier oben. Die großen Betonplatten auf dem Foto oben links werden alsbald vorn an der Straße nach hinten gestaffelt aufgeschichtet. Sie dienen dazu, die Westecke des Grundstücks zu begradigen und den Hang zu befestigen (unten links). Ein großes Teilstück wurde hier separat verkauft, es wird im gleichen Jahr mit einem untypischen, aber sehr schönen Einfamilienhaus (umgangssprachlich „Toskana-Villa“) bebaut. Es hat die Hausnummer 7.
In der Fabrik indes sind zu Zeitpunkt noch keinerlei Bauarbeiten im Gange. Außer dass der Dachstuhl des Hauptgebäudes komplett entfernt wurde, sieht alles aus wie all die Jahre (unten rechts).
Im November 2013 hat sich allerhand getan. Die „Toskana-Villa“ ist fast fertig gestellt und auch an der Fabrik sieht man Veränderungen. Im letzten Quartal 2013 wurde der Bauantrag für die sehr umfassenden Umbauarbeiten ebenda genehmigt.
Die Aufnahme ist vom 17. November 2013, ganz lässt er sich nicht kaschieren, der Hochnebel… 😐
Es sollte noch einmal zwei Jahre dauern, bis die Fabrik zu Wohnraum umgebaut war.
Das Foto links ist vom 24. Mai 2015, von der Doktorbrücke aus.
Ab der letzten Oktoberwoche 2015 erfolgte der Bezug der Wohnungen, alle sind vermietet.
Diese Seite wurde aus der Ursprungsversion 2004, die seinerzeit mit einer speziellen Software (NetObjects Fusion) gestaltet worden war, fast identisch übernommen. Es kann hierbei manchmal zu Darstellungsproblemen kommen, in erster Linie deshalb, weil die eingefügten Bilder kleiner sind als die Aufnahmen, die wir seit dem Wechsel des Layouts bei allen neueren Seiten einfügen.
Die bildlichen und textlichen Inhalte stellen den Stand unserer Veröffentlichung zu diesem Grundstück/Areal dar, wie er in der Version 2004, die über zehn Jahre (2004-2014) ausgegeben wurde, publiziert war. In vielen Fällen liegen in unserem Archiv ergänzende Daten, Fotos oder Belege vor.
Beim Sockenstopfen (so was gibts auch noch! – wir sind aber auch Vorkriegsgeneration) verbrauchte heute meine Frau den Rest einer 10g-Karte Stopf-Mischgarn aus DDR-Zeiten. Die Firmenbezeichnung darauf lässt auf vorstaatliche Zeiten schließen. Das Garn ist also mindestens 70 Jahre alt.
Ihr geschilderter Ablauf der Firmengeschichte erinnert mich an meine eigene Erfahrung mit ähnlichem Verlauf (Lederfabrik in Mecklenburg mit 10facher Beschäftigtenzahl, gegründet v.d. WK 1 von Adler& Oppenheimer, nach WK2 sofort verstaatlicht und Betriebsgelände (12 ha) nach „Rückbau“ seit Ende der 90er sehr langsam wieder als Gewerbepark mit Industrieansiedlung „belebt“. Ich selbst war einige Jahre viel mit textilen Schichtträgern für Kunstleder beschäftigt und war auch in den 60ern häufig im Großraum K-M-St. unterwegs.
Schöne Grüße aus dem Norden von Peter Bernhardt