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➡ Zentrales Pionierlager
“Palmiro Togliatti”
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1916 bis 2014
Die Zeit danach >>>
Turnerheim Germania und Kurt-Günther-Heim
Für die Geschichte des Geländes des ehemaligen Turnerheimes mit Sportplatz und dem nachmaligen Pionierlager müssen wir bis ins Jahr 1916 zurückgehen.
In diesem Jahr war der Landwirt Bauer (“Bauer-Bauer”) bereit, ein Grundstück am Dittersdorfer Weg zu veräußern, welches unmittelbar am Wald lag. Der Einsiedler Arbeiterturnverein „Germania e.V.” (nicht zu verwechseln mit dem bürgerlichen „Turnverein Einsiedel“) zeigte Interesse am Kauf. Allerdings war Bauer – vermutlich aus ideologischen Gründen – nicht bereit, an den Verein zu verkaufen. So wurde nun das Geschäft über einen Dritten abgewickelt, der als Strohmann im Auftrag von „Germania e.V.“ handelte und sich als Gärtner ausgab.
Um nach dem Kauf den Schein zu wahren und vor allem aber, da es die Not gebot (1. Weltkrieg), wurden durch die Turner erst einmal diverse Beete angelegt und Gemüseanbau betrieben. 1920 begann dann der eigentliche Sportplatzbau, der erst 1928 intensiviert wurde und sich über zehn Jahre hinzog.
Anfangs galten die Anstrengungen erst einmal der Besorgung und dem Bau einer passenden Unterkunft. Die Fotos zeigen uns eine von den Sportlern in der Reichshauptstadt Berlin erworbene Baracke.
Diese wurde 1921 in zerlegten Einzelteilen nach Einsiedel transportiert und 1922 hier aufgestellt.
(Fotos: links Thomas Schwebe, rechts Maria Engelhardt)
Diese recht große Baracke nannte sich fortan “Turnerheim”. Sie wurde 1922 geweiht und erhielt im gleichen Jahre eine Schankkonzession. Wie wir sehen, gab es sogar ein eigenes Geschirr.
Rechts eine Annonce aus dem Jahre 1926.
Neben den Turnern selbst fanden hier noch viele andere Einsiedler Vereine eine Bleibe.
Ein im Gelände errichteter Gedenkstein für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Vereinsmitglieder.
(Foto: Jürgen Krauß)
Ohne die uns heute bekannte “schwere” Technik erfolgte der Sportplatzbau zwischen 1928-30. Unzählige Kubikmeter Erde wurden bewegt, um eine ebene, gerade Fläche zu schaffen.
Links: Ein Sommerfest nach Abschluss der Bauarbeiten 1930.
Aber auch all die Jahre davor gab es ständig sportliche Wertbewerbe und Feste, die uns heute auf ein erfülltes Vereinsleben schließen lassen. Rechts eine Urkunde von einer Werbeturnveranstaltung im Juli 1926.
Oben: Sportler (linkes Bild) und zahlreiche Zuschauer (Mitte) ziehen die Turnstraße (heute Scholl-Straße) hinauf. Ziel ist natürlich der Sportplatz und das Turnerheim. Ob sich nachfolgend dann die oben rechts abgebildeten Aktivitäten wie das Geräteturnen abspielten, ist unklar. Die Kleidung der Sportler auf beiden Bildern lässt uns aber einen eventuellen Zusammenhang erahnen. Aufnahmezeitpunkt ist vermutlich 1931, da zu diesem Zeitpunkt das nun endgültig fertig gestellte Gelände noch einmal mit einem großen Fest geweiht wurde.
Lange währte die Freude der Arbeitersportler indes nicht.
1933, mit der Machtübernahme der NSDAP, wurde der „Germania e.V.“ verboten. Daraus lässt sich schließen, dass der Verein sich nicht nur sportlich, sondern vermutlich auch politisch betätigte. Beispielsweise fand vom 15. bis 31. August 1928 hier im Gelände das Gau-Führer-Lager des “Rotfrontkämpferbundes” und der “Roten Jungfront” Erzgebirge/Vogtland statt. Obwohl die Nationalsozialisten zum Zeitpunkt gegen alles und jeden kämpften, so gab es wohl keine schlimmeren politischen Gegner für sie als die Kommunisten.
Fortan nutzte die SA die Anlagen. Der oben beschriebene und abgebildete Gedenkstein für die gefallenen Weltkriegsteilnehmer wurde unsinnigerweise von ihr entfernt. Sportplatz, Sportgeräte und das Turnerheim wurden “Eigentum” von SA und HJ. Das “Turnerheim” selbst wurde in „Kurt-Günther-Heim“ umbenannt.
Siehe zu Kurt Günther auch den ausführlichen Artikel hier. Der oberste SA-Chef Ernst Röhm war zur Umbenennung persönlich da und der Einsiedler SA-Sturm und das Jungvolk staunten nicht schlecht, dass dieser schon vor Ort war, als sie den Hang hochgehetzt kamen.
Nach den anglo-amerikanischen Bombenangriffen im Februar und März 1945 wurden in der unzerstört gebliebenen Baracke mehrere notdürftige Wohnungen und das Büro des Forstamtes Einsiedel eingerichtet.
Links eine Zeichnung des Turnerheims aus besseren Tagen.
(Vorlage: H+G Einsiedel)
Das nebenstehende, leider etwas unscharfe Foto stammt vom ersten nach dem Krieg wieder stattfindenden Sportfest im Jahre 1945.
(Foto: Maria Engelhardt)
Pionierlager “Palmiro Togliatti”
Nach dem Krieg fanden dann erstmals Ferienaufenthalte in Zelten statt.
Vorerst lediglich für die Einsiedler Schüler geplant und ausgestaltet, kamen während des griechischen Bürgerkrieges 1948 noch griechische (Waisen-)Kinder hinzu.
(Foto: Maria Engelhardt)
Appelle, Aufmärsche und politische Einflussnahme gab es für die Kinder und Jugendlichen von Anfang an.
Fahnen und Symbole änderten sich und das Weltbild kippte von nationalsozialistisch zu sozialistisch, ansonsten ging es in dem seit 1933 in Deutschland bekannten Ritt weiter.
Die auf dem rechten Foto zu sehende hölzerne Bühne wird bald einem massiven Bauwerk aus Stein weichen.
(Fotos: Maria Engelhardt)
Der erste Namenspatron für das Lager war der ungarische Jude, Stalinist und (ab 1952) Ministerpräsident von Ungarn, Mátyás Rákosi (sprich Rakoschi).
Nach dem Tod Stalin entglitt dessen Protegé Rakosi aber sukzessive die Macht in Ungarn, so dass er 1956 in die Sowjetunion floh, wo er 1971 starb.
Namensnachfolger wurde der Italiener Palmiro Togliatti. Dessen Name trug nun das Einsiedler Pionierlager fortan, er sollte die ganze DDR-Zeit überdauern.
(Foto: Maria Engelhardt)
Strohlieferung im Pionierlager.
In den ersten Jahren waren in den Zelten die Lattenroste mit Strohsäcken belegt.
Darauf schliefen die Kinder mit einfachen Decken, Schlafsäcke waren noch unbekannt.
Rechts: Besser war es um die Waschgelegenheiten bestellt…
(Fotos: Maria Engelhardt)
1951 wurde dann dieses Zeltlager erheblich erweitert und als Zentrales Pionierlager “Palmiro Togliatti“ offiziell eröffnet. In den Sommerferien war diese „Zeltstadt“ dann nicht nur von Kindern aus der DDR voll belegt. Wir sehen nachfolgend fünf (in hohen Stückzahlen) produzierte Ansichtspostkarten und ein Foto aus dieser Zeit. Sie gewähren uns einen recht umfassenden Eindruck in das Lagerleben in den 1950er und -60er Jahren.
In der ersten Hälfte der 1950er Jahre wurde auch der Eingangsbereich umgestaltet, wie uns die beiden nebenstehenden Ansichtskarten zeigen.
Nach unwetterartigen Regenfällen im Juli 1954 musste das Lager evakuiert werden.
In Einsiedel selbst mündeten diese Regenfälle in ein Hochwasser.
(Foto: Maria Engelhardt)
Wohl um 1950 wird das für lange Zeit einzige massive Gebäude auf dem Areal errichtet. Es dient in erster Linie als Krankenstation.
Die Lage dieses Gebäude, direkt am Waldrand, ergibt sich aus der rechten Aufnahme recht gut.
Beachtenswert ist auch die auf dem linken Abbildung gut erkennbare, nunmehr aus gemauerten Steinen errichtete Bühne.
(Postkarte links: Klaus Gagstädter)
Der Weg ins Dorf. Am Bildrand noch erkennbar der Giebel der Krankenstation, dahinter das Zeltlager.
Rechts der gleiche Standort am 16. Januar 2011.
Das ehemalige Turnerheim respektive Kurt-Günther-Heim hat auch einen neuen Namen: Kurt-Franke-Heim. (Ergänzender Artikel zu Kurt Franke: Kurt-Franke-Straße.)
Die recht große Baracke beherbergt die Wohnung des Hausmeisters, die Büros der Lagerleitung, die Lagerbibliothek sowie ein Spielgerätelager. An der Stirnseite im Keller befand sich eine kleine Verkaufseinrichtung, wo die Kinder Getränke oder auch Ansichtskarten erwerben konnten.
(Fotos: links H+G Einsiedel, rechts Jürgen Krauß)
Vom Kurt-Franke-Heim aus Richtung Osten erstreckten sich weitere Baracken, in einer war der Speiseraum.
In einer anderen Baracke befand sich die Küche mit einem für Großküchen üblichen Raum mit entsprechend dimensionierten Kesseln, einem Raum für die kalte Küche und letztendlich waren auch die Räume der “Freundschaftsleitung” hier untergebracht.
Links ein Foto von der Essenausgabe, wohl einer der wichtigsten Momente im Tagesablauf.
(Foto: H+G Einsiedel)
Ein im Jahre 1961 im Lagergelände statt gefundenes Reit- und Springturnier blieb die einzige Veranstaltung dieser Art hier.
Ein Lagerausweis für Bedienstete des Pionierlagers aus den 1960er Jahren.
(Vorlage: Maria Engelhardt)
“Blick zum Kinderferienlager” nennt sich die nebenstehende Postkarte. Die Aufnahme ist wohl im Herbst oder Frühjahr entstanden, das Lager ist leer, es sind keine Zelte errichtet.
Das Motiv gab es auch noch in einer retuschierten Fassung. Dabei hat man den Strommast (Bildmitte unten) und den Schornstein der Gärtnerei Schwarz kunstvoll entfernt.
Dieses retuschierte Bild ist hier noch einmal im Vergleich zu sehen.
(Vorlage links: Hans-Christian Günther)
Der auf den beiden nebenstehenden Fotos im Hintergrund zwischen den Nadelbäumen erkennbare Gedenkstein war dem ehemaligen Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Ernst Thälmann gewidmet…
…wie uns die nebenstehende Nahaufnahme deutlich macht.
(Foto: Maria Engelhardt)
Aber Thälmann, der in der DDR hoch verehrt wurde und man kann wohl sagen einen Märtyrer-Status hatte, war nicht der einzige, dem man im Lager gedachte.
Im Sinne und Gedenken an den Rotfrontkämpferbund und der Roten Jungfront, die, wie weiter oben erwähnt, hier im Jahre 1928 ihr 2. Reichsführertreffen (“Gau-Führer-Lager”) abgehalten hatten, sind für 1974 und 1978 entsprechende Traditionsmärsche von GST und FDJ nachgewiesen.
Wir lesen dazu in der Chronik von Max List:
“In den Vormittagsstunden [29. Juni 1974] bekunden 1000 Wehrsportler und FDJ ler mit dem Marsch der Bewährung “Auf den Spuren der Roten Jungfront” vom Theaterplatz in Karl-Marx-Stadt in das 13 Kilometer entfernte Einsiedel ihre Bereitschaft zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes.”
Zwei von im Lager erhältlichen und in beachtlicher Auflage erschienen Ansichtskarten, beide liefen postalisch 1973.
Die Motive sind aber schon in früheren Jahren nachgewiesen.
Aber nicht jedem gefiel es im Einsiedler Pionierlager…
Ab 1977 erfolgten im Lager sehr umfangreiche, den Komplex völlig verändernde Baumaßnahmen. Die Zelte und die bisher in Baracken untergebrachten Wirtschafts- und Sozialräume wichen massiven Gebäuden und Bungalows.
Auf den Fotos sehen wir links die Baustelleneinfahrt, dahinter das neue Küchengebäude, rechts ein entstehendes Unterkunftsgebäude für die Kinder.
(Fotos: H+G Einsiedel)
Die 1922 von den Arbeitersportlern errichtete Unterkunft, das jetzige Kurt-Franke-Heim, wurde ebenfalls obsolet und abgerissen.
Unklar ist noch der Zeitpunkt des Abrisses, die Aussagen reichen von 1977 bis 1982.
Neben den bereits weiter oben beschriebenen Wirtschaftsräumen befand sich hier in der Baracke bis 1975 auch die Wohnung des Hausmeisters.
(Foto: H+G Einsiedel)
Das Krankengebäude blieb erhalten, wurde aber als solches nicht mehr genutzt. 1982 wurden vom Trägerbetrieb “8. Mai” die Räumlichkeiten des Hauses zu Wohnungen umgebaut. Diese waren ausschließlich Betriebsangehörigen vorbehalten.
Rechts ein Postkartenmotiv aus den 1970er Jahren.
Für dieses Gebäude, heute unter der Hausnummer 27 zu finden, haben wir eine eigene kleine Seite erstellt.
Nach Abschluss der Baumaßnahmen im Lager hatte dieses sein Äußeres radikal verändert – sehr zum Vorteil für die Kinder und Angestellten und natürlich auch für Einsiedel:
Links (1989) und unten (1985) zwei Postkartenmotive, die uns das Lagerleben Ende der DDR visuell näherbringen.
Rechts ein sogenanntes Freundschaftstuch, welches man im Lager käuflich erwerben konnte. Es zeigt den Gesamtkomplex in einer “Luftbildaufnahme”.
F+U Bildungseinrichtung
1991 übernimmt die “F+U Gemeinnützige Bildungseinrichtung für Fortbildung und Umschulung GmbH Heidelberg” das Zentrale Pionierlager Einsiedel von der Treuhand-Anstalt. Eine Fläche von rund 71.000 m² Grund und Boden und rund 16.000 m² umbaute Hülle wechseln den Besitzer.
F+U Heidelberg vermietet das Areal an das eigene Tochterunternehmen “F+U Sachsen”, einem gemeinnützigen Chemnitzer Bildungsträger. Die hier angebotenen Qualifizierungen und Weiterbildungen sind vielfältig und erstrecken sich von Restaurant-, Hotel- und Küchenwesen über Lager und Büro bis zur Hauswirtschaft.
Rechts eine Werbeanzeige aus der Broschüre „90 Jahre Viktoria Einsiedel“ 1993.
Zwei Fotos vom 7. Mai 2011. Links der Eingangsbereich, rechts das Küchengebäude, es wird freilich zur Ausbildung von Köchen bei der F+U dementsprechend genutzt.
Einige Unterkunftsgebäude am 7. Mai 2011.
Die Turnhalle, eine Aufnahme vom 7. Mai 2011.
Obwohl sich diese außerhalb des umfriedeten Komplexes befindet, gehört auch sie zur F+U.
Die Turnhalle steht gegen Entgelt auch Turn- und Sportvereinen zur Verfügung.
Zum Zeitpunkt gehört die F+U Sachsen schon längst nicht mehr als Tochter zur F+U Heidelberg, seit 2008 agiert sie selbständig am Markt.
Im Juli 2014 endet auch der Mietvertrag für das Objekt, F+U Sachsen wirkt fortan in der Altchemnitzer Straße in der Nähe des Südbahnhofes.
Und im September 2014 lesen wir: „Das F+U Unternehmen F+U Academy of Languages wird in wenigen Wochen mit dem Schulbetrieb des F+U Campus Chemnitz am Dittersdorfer Weg 25 beginnen.“
Aber dem war nicht so und der Zeitabschnitt, der jetzt folgt, wird ein ganz anderer werden …