Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer (nicht bekannt)
Gemischtwaren Clemens Kaiser & Friseur Ernst Belling,
später Adler-Drogerie und Schuhgeschäfte
Das Gebäude in der Hauptstraße 47 auf einer Fotografie wohl aus den 1920er Jahren. (Foto: Uwe Aurich)
Die Protagonisten haben sich vor den Eingängen versammelt und wir erinnern an den Friseursalon von Ernst Belling, der sich in der rechten Haushälfte befand.
Die Werbeannonce oben rechts stammt aus den Jahre 1926 (Vorlage: Ingobert Rost). Wie wir wissen, zog Ernst Belling nach der Zerstörung des Gebäudes durch den anglo-amerikanischen Bombenterror zwei Häuser weiter in die Hauptstraße 51.
In der linken Gebäudehälfte fanden wir anfangs den Gemischtwarenladen von Clemens Kaiser. Den ältesten Nachweis seiner Existenz liefert uns die nebenstehende Annonce aus dem Jahre 1905. Und im Adressbuch von 1913, wo er unter „Materialwarenhändler“ gelistet ist, wurde sein Eintrag mit dem Hinweis „(auch Drechsler)“ ergänzt.
Nachfolgend eine weitere Offerte von Clemens Kaiser aus dem Jahre 1926. (Vorlage unten: Ingobert Rost)
Hm, … Galanteriewaren?
Also früher, als ich noch jung war, war dies eine Bezeichnung für modische Accessoires. Mithin Dinge, die nicht lebensnotwendig waren, dazu oft klein und erschwinglich und die Bekleidung visuell bereicherten. Der Begriff „Galanteriewaren“ ist heute veraltet, war seinerzeit aber allgegenwärtig. Will sagen, in Einsiedel führten noch mehr Händler ein derartiges Sortiment.
Mit Carl Schubert (Spitzname “Gift”) und der „Adler-Drogerie“ betritt ein neuer Akteur die Räumlichkeiten. Links eine Annonce aus dem „Wochenblatt für Einsiedel“ vom 6. August 1938.
Das Geschäft befand sich in den Räumen des vormaligen Gemischtwarenladens.
Beim nebenstehenden Briefumschlag ist nicht nur die Briefmarke „Sowjetische Besatzungszone“ beachtenswert, sondern auch der Propagandastempel „Achtet auf den Kartoffelkäfer“.
Schon während des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber danach, wurden die Käfer zur Plage. Und insbesondere in der SBZ. Ganze Schülerklassen begingen die Felder, um Kartoffelkäfer einzusammeln.
Sowjetische, später DDR-Propagandisten behaupteten, die Amerikaner bzw. die CIA würden die Käfer gezielt aus Flugzeugen über den Feldern abwerfen, um die Landwirtschaft in der SBZ/DDR zu sabotieren. 1950 waren um die 20% der ostdeutschen Kartoffeläcker von der Plage befallen!
In Ermangelung eines „trockenen“ Fotos aus der frühen DDR-Zeit wollen wir hier mal ein “Hochwasser-Bild” von 1954 einfügen, um den Nachkriegszustand des wiedererrichteten Gebäudes zu dokumentieren.
Die Drogerie zieht sich jetzt mit Nebengelass über die gesamte Erdgeschossfläche.
In den Nebenräumen (auf dem Foto hinten rechts) gab es in den Nachkriegsjahren einen Milchhandel/Milchverkauf.
Wer die „Star-Wars“-Filme kennt, kennt wohl auch blaue Milch. Dort reine Fiktion, gab es hier in der 47 und ganz sicher auch in anderen Geschäften in Einsiedel in den Nachkriegsjahren blaue Milch in der Realität.
Es handelte sich um Magermilch mit max. 0,3% Fett, darum war sie bläulich schimmernd (für Säuglinge gab es allerdings Vollmilch). Milch gab es auf Milchkarte, also Lebensmittelkarten, die bis 1958 in der SBZ/DDR in Gebrauch waren.
Es gab 5 Kategorien:
- Kategorie I: Schwerstarbeiter und Funktionäre
- Kategorie II: Schwerarbeiter
- Kategorie III: Arbeiter
- Kategorie IV: Angestellte
- Kategorie V: Sonstige (Kinder, Rentner, ehemalige NSDAP-Mitglieder, Schwerbehinderte, Nichterwerbstätige), auch „Friedhofskarte“ genannt.
Berichten können wir noch von einem Karl Emmrich, der in einer Wohnung in der ersten Etage ein Radio-Geschäft betrieb. Wohnhaft war er auf der Funkstraße, den Handel und Verkauf von Radios betreib er aber hier. Der Zeitraum seines Wirkens ist nur vage eingrenzbar auf die 1930er und 40er Jahre.
Ab 1957 bis 30. November 1995 war dann Gerhard Lindner mit seiner Ehefrau der Drogist in der Einsiedler Hauptstr. 47 und Nachfolger von Karl Schubert.
Die beiden nebenstehenden Foto stammen von Andreas Weidmüller, Mönchengladbach. Er weilte damals besuchsweise in Einsiedel und hat neben der Drogerie auch einige andere Geschäfte hier fotografiert. Seine Bilder vom März 1987 lassen uns die DDR ob der jahreszeitlich bedingten laublosen Vegetation noch grauer erscheinen, als wie es mancher von uns in Erinnerung zu haben glaubt.
Auf dem Bild oben rechts sehen wir noch einmal den Zugang zu den Nebenräumen, in denen in der Nachkriegszeit der Milchhandel stattfand.
Mit der Wende 1990 begann dann der Wiederaufstieg des Kapitalismus auch in Einsiedel:
Links ein typisches Bild für die frühe Nachwendezeit aus dem Jahre 1991.
Nicht nur hier bei der Adler-Drogerie Lindner bzw. beim Gebäude in der Hauptstraße 47 wurden als erstes die frontliegenden Fassaden im Erdgeschoss ausgebessert und frisch gestrichen, bevor dann in späteren Jahren die Komplettsanierung startete. Wir haben noch Bilder anderer Einsiedler Häuser mit dieser Zwischenlösung im Archiv und es gab sie freilich nicht nur in Einsiedel.
(Foto links: Katrin Lindner)
Oben rechts eine Annonce aus der Broschüre „90 Jahre Viktoria Einsiedel“ von 1993, das erklärt auch den „Fußball-Text“.
Nebenstehend eine Verkaufsofferte für Grundstück mit Gebäude im „Gemeinde-Anzeiger Einsiedel“ vom 29. September 1993.
Und vier Wochen später lesen wir unter dem 27. Oktober 1993 im gleichen Blatt:
„Das in der Septemberausgabe angebotene Wohn- und Geschäftshaus Hauptstraße 47 wird zum Verkaufswert an Herrn [Name (Beruf)] verkauft. Dieser Beschluß (Beschluß-Nr. 101/93) wurde am 13.10.1993 von der Gemeindevertretung gefaßt.“
Ab 1996 übernahm dann Tochter Katrin Lindner die Adler-Drogerie. Vorher, am 1. Dezember 1995, verlegte das Geschäft in das neu gebaute Gebäude Am Plan 8.
Dort betrieb sie ihre “Drogerie & Parfümerie” bis 30. November 2006 und kurzzeitig noch einmal (Ausverkauf) vom 1. Dezember 2006 bis 31. Januar 2007 im Nachbargebäude Am Plan 6.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten, wie sie jedes Unternehmen treffen kann, machten dem fast 50 Jahre in Einsiedel wohlbekannten Name “Drogerie Lindner” ein Ende.
Zurück zur 47: Hier in dem nach dem Drogerie-Umzug freigewordenen Erdgeschoss betrieben ab 1996 Jutta und Manfred Wünsch ein Schuhgeschäft. Sie waren aus den beengten Räumen der gegenüberliegenden Nr. 38 herübergezogen.
Später finden wir als deren Nachfolger den „Schuh-Service Einsiedel“ von Matthias Kieschkar, links eine Aufnahme vom 2. September 2009.
Nach dessen Geschäftsaufgabe standen die Räumlichkeiten lange leer bzw. wurden -wohl erfolglos- zur Vermietung angeboten.
Die nebenstehende Aufnahme ist vom 1. Juli 2018 und zeigt uns, dass die Geschäftsräume in Wohnraum umgewandelt werden. Kieschkars Werbetafeln befinden sich zum Zeitpunkt noch am Gebäude.
Und auch am 25. September 2019 sind die Umbauarbeiten noch keineswegs beendet…
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- Katrin Lindner
Passender, ergänzender Artikel zu dieser Seite:
- Einsiedler Hauptstraße 51: u.a. Friseurgeschäft Belling
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