Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 49
Die „Fischer-Schmiede“
Beginnen möchten wir diese etwas umfangreichere Seite mit einer Aufnahme von der „Fischer-Schmiede“ Anfang der 1920er Jahre. Doch das Haus ist deutlich älter – 1770 wurde es errichtet und mehrfach umgebaut. Hier nun der Zustand, wie er sich teilweise auch noch 2024 für das Wohnhaus und den sogenannten Beschlagschuppen (direkt hinter der Linde) ergibt.
Zum Foto oben noch zwei Anmerkungen:
Links oben das Kantorat1, von der hohen Esse abgesehen bis heute unverändert. Aber mit einem Fertigstellungsjahr 1829 fast 60 Jahre jünger als die Schmiede. Und darunter die Bäckerei Enzmann2, Am Plan 2, 1945 im alliierten Bombardement untergegangen und nicht wieder errichtet.
Die Schmiede war ursprünglich ein Teil des ehemaligen, in der Ortsmitte befindlichen, recht großen Lehngutes. Wir zitieren einen kleinen Ausschnitt aus einem Beitrag des Einsiedler Ortschronisten und Oberlehrers Richard Möbius im „Wochenblatt für Einsiedel“ 1938:
Die Landwirtschaft und alte Häuser
Einsiedel ist seit altersher ein Bauerndorf. Mit der im Jahre 1935 erfolgten Eingliederung der ehemaligen Gemeinde Berbisdorf wurde der Gesamtgemeinde eine Anzahl größerer Bauerngüter zugehörig, so daß nunmehr in ihr die Land- und Forstwirtschaft ebenso nennenswert vertreten ist, wie die Industrie und das Gewerbe.
Über 30 größere Erbhöfe und eine Anzahl landwirtschaftlicher Kleinbetriebe sind vorhanden. Sie und eine ausgedehnte Forstwirtschaft mit ca. 1000 Hektar Waldboden lassen erkennen, daß die Bodenwirtschaft des Ortes recht bedeutsam ist.
Sie alle zeigen aber stilgerechte Bauformen mit schönem Fachwerk, niedrigen Stockmaßen und stolzen, hohen Giebeln nebst Satteldächern.
Das markanteste alte Gebäude ist die heutige Apotheke3, die ehemals das Herrenhaus des Lehngerichts Einsiedel darstellte und mit der im Jahre 1770 erbauten Fischerschmiede übriggebliebene Teile des ehemaligen Lehngutes sind. Dieses, wie verschiedene andere alte Häuser und Güter haben der Industrialisierung des Ortes Platz machen müssen.
Richard Möbius
Nur vereinzelt finden sich noch stumme Zeugen einer längst vergangenen geruhsamen Zeit. Das älteste Gebäude des Ortes steht am Eingang zum „Schieferwinkel“. Es ist das alte Hähle-Haus, das 1734 erbaut wurde. Alt und gebrechlich verbringt es seine letzten Jahre und man merkt es ihm an, daß es bald in Schutt und Asche zerfällt.
In der Schmiede von Max Fischer
Im Hof sieht man die für das Gewerbe typischen Pferdewagen und an der Wand stehen zwei eiserne Randreifen, die es aufzuziehen galt. Hier war Können gefragt und vor allem Schnelligkeit. Glühend wurden die Radreifen über das demontierte, liegende Rad gezogen und unverzüglich mit Wasser abgelöscht, damit das Holz nicht zu schmoren oder gar zu brennen begann. Durch die sofortige Abkühlung umschlossen die eisernen Reifen das Rad formschlüssig.
Bei der Hofsanierung im Oktober 2012 kamen Teile der ehemaligen Halterung für die Räder zum Aufziehen der Radreifen wieder zu Vorschein. Die runde Einfassung gibt es – wenn auch plan mit Beton überzogen – bis heute.
Es versteht sich aber von selbst, dass das Betätigungsfeld einer Schmiede deutlich größer war.
Obligatorisches Arbeitsmittel ist natürlich der Amboss. Oben sehen wir den letzten Schmiedemeister Max Fischer 1950 inmitten seiner Schmiede.
Er ist auch der Einzige, von dem wir Personenfotos präsentieren können. Max Fischer übernahm die Schmiede von seinem Vater Anton Bernhard Fischer.
Ein Blick in einige alte Adressbücher gewährt Auskunft.
(Etwa um 1900 wurden in Einsiedel die Hausnummern eingeführt, in diesem Fall hier Wechsel von der Ortslistennummer 49 zur Hausnummer 74.)
Seltener waren Außendiensteinsätze. Zu nennen wäre hier das Klauenschneiden bei den früher in Einsiedel häufig gehaltenen Ziegen oder Max Fischer ging zu Fuß zum „Goldenen Hahn“, um bei den dort stationierten Moritzburger Zuchthengsten die Hufe auszuschneiden. Beschlagen – also das Anpassen und Aufsetzen neuer Hufeisen – erfolgte aber immer in der Schmiede.
Was uns der Krieg auch nahm …
Dieser Abschnitt gibt uns zusätzlichen Einblick in den Schmiedebetrieb, in den Alltag und in das, was Gott sei Dank nicht alltäglich ist, den angloamerikanischen Bombenangriff vom 5. März 1945.
Wir betrachten auch ein paar Aspekte der Nachkriegszeit mit dem Wiederaufbau, der wohl bei den meisten Häusern in Einsiedel ähnlich schwer war.
Und aus 40 Jahren DDR haben wir natürlich auch noch einiges Erinnerungswürdiges notiert.
Lassen wir jetzt erst einmal Helga Claus, 1939 geboren und Enkelin von Max Fischer, zu Wort kommen.
Die Fischerschmiede – meine glückliche Kindheit
Die Fischer-Schmiede mitten im Ort an der Hauptstraße 74, in der ich meine Kindheit und fast mein ganzes Leben verbrachte, war schon seit Generationen vor mir und nach mir ein Treffpunkt für die Nachbarskinder und Schulkameraden.
Wenn die Pferde zum Beschlagen kamen, war das Anlass für Jung und Alt zum Schauen und um Neuigkeiten auszutauschen. Für mich war das prägend für das ganze Leben. Mir entging kein Pferd, wenn ich nicht gerade in der Schule war.
Im Sommer durfte ich Fliegen wedeln oder unruhige Pferde beruhigen und dann war es wichtig, auf welches Pferd ich mich heimwärts draufsetzen durfte. Favoriten waren die Pferde vom „Kohlen-Helbig“ oder aus der Gärtnerei, um nur einige zu nennen.
Die Moritzburger Hengste waren zum damaligen Zeitpunkt während der Decksaison auf dem „Goldenen Hahn“ stationiert und wenn der Gestütswärter Schottin in seiner Gestütsuniform geritten oder mit der Kutsche gefahren kam, dann war das der absolute Höhepunkt.
Fuhr der Leitermann durch den Ort und legte mit seinem Schimmel eine kurze Ruhepause bei uns ein, war das auch ein schönes Erlebnis.
Helga Claus
Die Hufspäne unter der Woche wurden gewissenhaft gesammelt und jeden Sonnabend als Düngemittel zur Gärtnerei gebracht.
Alle paar Wochen wurden im Hof Sonnabendnachmittag Reifen aufgezogen, ein kleines, ereignisreiches Ritual zur damaligen Zeit. Das Rad wurde auf dem Pflaster im Hof befestigt, alle verfügbaren Eimer standen griffbereit, mit Wasser gefüllt, entlang der Hauswand. Jetzt kamen mein Großvater und sein Bruder Fritz mit dem glühenden Reifen aus der Schmiede, passten den Reifen an und dann waren die Helfer mit dem Wasser an der Reihe.
Jede Schulklasse besuchte die Schmiede, durfte meinem Großvater bei der Arbeit zuschauen. Abschluss war ein kleines „Feuerwerk“. Kleine Metallspänchen wurden ins Feuer gestreut und brachten den kleinen Effekt. Darüber wurde in der Regel ein Klassenaufsatz geschrieben.
Den Bombenangriff, dem auch unsere Schmiede zum Opfer fiel, habe ich noch in Erinnerung, konnte aber die Ängste der Erwachsenen als sechsjähriges Kind nicht nachvollziehen.
Es ringt mir immer noch große Hochachtung ab, wie es mein Großvater und meine Eltern schafften, innerhalb eines Jahres das Haus wieder provisorisch aufzubauen, noch dazu mit stark ausgebautem Dachgeschoss, um die extreme Wohnungsnot damit zu lindern.
Mein Großvater fasste das alles im unten stehenden Gedicht zusammen.
Oben rechts eine Rechnung der bekannten Einsiedler Baufirma M. M. Seifert. Interessant das Datum: 10. April 1945. Es ist nicht final geklärt, aber wahrscheinlich, dass hier Arbeitsleistungen und teilweise Material aus dem Februar 1945 berechnet wurden für die Errichtung einer „Bombenschutzmauer“ an den Außenwänden um den Keller (Souterrain). Diese wurde zu einem großen Teil als Trockenmauer ausgeführt. Mit ihr wurde der Keller zum Luftschutzkeller und sicherte am 5. März 1945 auch das Überleben aller Hausbewohner während des verheerenden angloamerikanischen Bombenangriffs.
Gibt’s auch 2024 noch:
Bombenschutzmauer, jetzt u.a. für Agaven-Repräsentanz.
Eine Aufnahme des zerstörten Gebäudes indes haben wir nicht. Vergleiche mit alten Fotos zeigen aber, dass die Mauern von Erdgeschoss und erster Etage wohl „gerettet“ werden konnten. Die Fensteranordnung und auch deren Größe blieben gleich, im Erdgeschoss bis heute.
Stark ausgebaut wurde das Dachgeschoss, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Das war auch eine Bedingung für einen Wiederaufbaukredit über 11.000 RM.
Sie empfingen: 1 hölzerne kompl. Holzpumpe als Ersatz durch Terrorangriff vollständig zerstörte incl. Transport und Einbauen derselben. 65,- RM
Gibt’s auch 2024 noch:
Carl Weiskes Holzwasserpumpe. Sie wurde 1945 ebenfalls rege von der Nachbarschaft genutzt, bis deren Wasserversorgung wieder hergestellt war.
So, Wasser ist wieder da, jetzt das Dach:
Und auch die anderen vorliegenden Rechnungen und Belege für den Wiederaufbau 1945/46 der Fischer-Schmiede lesen sich wie ein Who’s who der Einsiedler Handwerker und Gewerbebetriebe dieser Zeit:
Johannes Flade, Baustoff-Groß- und Einzelhandel; Wolfgang Eitzinger, Ofenbau; Louis Wieland, Bau- und Möbeltischlerei; Fritz Morgenstern, Schmiederei und Maschinenreparaturwerkstatt (er setzte eine Maschine instand, die hier in der Fischer-Schmiede beschädigt worden war); Walter Reichel, Elektroinstallationen; Emil Fröhlich, Betonwaren und Kunststeinfabrikation; Max Rascher, Dachdeckungsgeschäft; Hans Mehnert, Klempnermeister; Paul Oettel, Bauschlosserei; Karl Peinelt, Klempnerei; Kurt Wildfeuer, Dachdeckungsgeschäft (er nutzte einen Vordruck mit der Aufschrift: „Rechnung über Beseitigung von Kriegsschäden“) und viele Rechnungen des Baugeschäfts Seifert, insgesamt der größte Posten.
Dazu kommen unzählige Belege aus den Nachbargemeinden.
Interessant auch eine Rechnung des Einsiedler Malermeisters Emil Lohs für das Streichen von Wohn- und Schlafräumen, was zwischen dem 14. Juni und 25. Juli 1946 ausgeführt wurde. Auch im Juni 1946 wurde ein Kachelofen (Eitzinger) berechnet und das Sägewerk Hertel lieferte im August 1946 282 lfdm Kehrleisten. Alles Zeichen dafür, dass das Haus wieder bezugsfertig war.
Insgesamt wurden in der ersten Etage und im Dachgeschoss sechs kleine Wohnungen geschaffen, wovon vier vermietet werden mussten. Im Erdgeschoss gab (und gibt) es nur Wirtschaftsräume.
Es begann die Zeit der zwangsweisen Wohnungszuweisungen. Entsprechende Formulare des Rates der Gemeinde Einsiedel benannten die neuen Mieter. Auf dem Vordruck war zu lesen: „Kommt ein Mietvertrag nicht zustande, so erklärt der Rat der Gemeinde durch Verfügung einen Mietvertrag für die Mietparteien als verbindlich.„
Der Passus griff hier nie, „Problemmieter“ gab es in all den Jahren nicht.
Neben der Schmiede befand sich im Haus weiteres Handwerk. Seit den 1950er Jahren betrieb Ilse Böhmer zusammen mit ihrer Schwester Ursula Kache in der Wohnung in der ersten Etage eine Repassierstube, später zogen beide dann in das Hintergebäude der Hauptstraße 68.
Auch der Schuhmacher Erich Oelsner hatte von Ende 1962 bis zum Rentenbeginn 1976 in zwei Räumen im Erdgeschoss seine Werkstatt. Rechts sehen wir ihn ebenda im April 1974.
Er hatte vorher seine Schusterei im elterlichen Haus in Erfenschlag betrieben.
(Foto: Sigrid Heinrichs)
Arbeitstägliches Ritual war, dass Erich Oelsner pünktlich um 9 Uhr zu den beiden Schwestern hochging, um gemeinsam zu frühstücken. Nach dem Mittag kam seine Ehefrau Ella aus der Maschinenfabrik („Polygraph“) in die Werkstatt, um die Kunden zu betreuen. Soll heißen, defekte Schuhe entgegenzunehmen und die reparierten auszugeben. Vermutlich brachte sie ihrem Mann auch das Mittagessen aus der Maschinenfabrik mit.
Später nutzte der Rassegeflügelverein Einsiedel (Hühner, Tauben, Enten, Gänse …) die beiden Räume als Versammlungsstätte und Futtermittellager. Dieser Verein ist nicht mit dem Ziergeflügelverein (Papageien, Sittiche, Kanaren usw.) „John Gould“ Einsiedel zu verwechseln, dieser hatte sein Domizil/Lager auf dem Fabrikweg.
Heute befindet sich in einem der Räume die Sattelkammer. In dem anderen sollen eigentlich die Hunde übernachten, welche aber überzeugt sind, dass es sich oben im Wohntrakt deutlich erholsamer schlafen lässt … 😉
Die alte Linde
Nebenstehend eine Lithografie „Dorfschmiede mit Linde in Einsiedel“, die es in hoher Auflage gab. Diese Ansichtskarte liegt bei uns mit einem Bahnpoststempel vom 28. September 1912 vor. Betrachten wir die gut sichtbaren Stromleitungen, so kann geschlussfolgert werden, dass das Originalfoto wohl 1911 oder 12 aufgenommen wurde. Fotograf Förster stand wahrscheinlich auf einem kleinen „Balkon“ am Giebel des Pferdestalls (später Garage) des „Gasthofs Einsiedel“4.
Dieser colorierten Ansichtspostkarte lag natürlich ein Foto zugrunde. Aufgenommen und dann verlagsmäßig herausgegeben wurde das Bild von Hermann Förster, professioneller Fotograf in der Kirchgasse (Harthauer Str.) 15. Und trotzdem sind zwei kleine „Fehler“ passiert … eine Person, die wahrscheinlich einen voll bepackten Handwagen führte, „rannte“ durchs Bild. Auf dem Foto ist diese Verzerrung rechts vor dem kleineren Baum erkennbar. Und eine weitere Person sehen wir schemenhaft vor dem Zaun. Auf der Lithografie wurden beide Personen dann heraus retuschiert.
1935 musste die Linde gefällt werden. Das Wahrzeichen in der Ortsmitte war so markant, dass Lokalpresse und Erzgebirgsverein einen „Nachruf“ druckten, den wir wiedergeben möchten. Im Artikel selbst verweisen einige Passagen auf Einsiedler Geschichte, die heute noch zum Teil greifbar ist. Wer also in die Tiefe gehen möchte, clicke auf die kleinen, hochgestellten Ziffern, sie verweisen auf Fußnoten am Seitenende.
Einsiedel: Die alte Linde an der Fischerschmiede, daß älteste Wahrzeichen unseres Ortes, ist am gestrigen Montag niedergelegt worden. Der ca. 300jährige Baum war in seinem unteren Stamm derart morsch geworden, daß seine Erhaltung nicht möglich war. Jeder Heimatfreund wird es tief bedauern, daß dieser alte Kronzeuge längst vergangener Zeiten, der von dem Werdegang unseres Heimatortes bis zu seiner jetzigen Entwicklung uns so viel hätte berichten können und der das Bild unseres Ortes nicht unwesentlich verschönerte, nicht erhalten bleiben konnte.
Wohl „Wochenblatt für Einsiedel“, 1935
Vom Erzgebirgsverein, der die Pflege und Erhaltung unserer Heimat auch auf seine Fahnen geschrieben hat, wird uns geschrieben:
Die alte Linde an der Fischerschmiede.
„Bald ist’s vorbei! Und der Erde geb‘ ich, der ew´gen Sonne, die Atome wieder, die sich zu Schmerz und Lust in mir gefügt!“ – Drei Jahrhunderte habe ich nun über das Wohl und Wehe des Ortes gewacht. Ich kenne seine Vergangenheit genau. Menschengeschlechter kamen und vergingen. Manchem frohen Volksfest auf dem nahen Dorfplan6 hörte ich still zu in den vielen, vielen Jahren meines Lebens. Mit stiller Wehmut aber gedenke ich auch der schweren Zeiten meiner Jugend, als General Holks Räuberhorten7 plündernd dieses stille Tal durchzogen, als der geschlagene Wallensteiner8 ins Böhmerland heimwärts zog und endlich das kleine Kirchenglöcklein den Friedensschluß der Fürsten9 verkündete. Noch klingt das „Nun danke Gott“ in meinen Zweigen, das aus der kleinen Dorfkirche oben, die an der Stelle der jetzigen stand, herniederklang. Damals freilich lag neben dem alten Lehngericht, in dem jetzt Rezepte ausgefertigt werden, ein stattlicher Dorfteich und niemand ahnte es wohl, von allen denen, die zum Kirchweihfest an diesem Platz sich tummelten! Tempora mutantur!10 Die gute alte Zeit! Wie gern sah ich den Thumer Postillion an mir vorbeifahren! Lange, lange ist’s auch schon her, als die Österreicher anno 13 zum Völkerkampf zogen11 und den Erbfeind verdrängen halfen. Wenn ich reden könnte! Ich sah auch ihn bei mir vorübergehen, den vielbewunderten Wilddieb unserer Wälder, den Stülpner-Karl, den auf dem „Goldenen Hahn“ so gern die Gäste erzählen hörten. Und dann die schreckliche Hungersnot vor reichlich 80 Jahren; in meiner Nähe steht noch ein Zeuge jener Zeit, versehen mit der Erinnerungstafel!12 Auch Preußens Söhne marschierten einstens in langen Reihen an mir vorüber, hin zum Bruderkrieg nach Böhmen13, und wenige Jahre später erklangen freudebringend die Glocken zur Siegesfeier von Sedan14! Und endlich sah ich auch sie, die Söhne des Ortes zum Weltkrieg15 eilen, dem schrecklichsten Erlebnis meines langen Lebens. – Vorbei sind sie an mir gegangen, alle die freudigen und ernsten Ereignisse großer Zeiten, lernt aus ihnen! So bedeutet es, mein letztes Rauschen! E.B.
Wir möchten an dieser Stelle noch einmal mit zwei historischen Aufnahmen an die Linde erinnern. Die Aufnahme oben zeigt uns den Standort des Baumes recht deutlich: genau am Rand der Straße und nicht etwa auf dem Fußweg. Die Senke, die nach Niederlegung der Linde und der (wohl nur teilweisen) Entfernung der Wurzel blieb, überdauerte die zehn Jahre des Dritten Reiches und dann noch mal locker 40 Jahre DDR. Sie verschwand erst mit dem Straßenbau in den 1990er Jahren. (Foto: Ekkehard Mühlmann)
Reparatur: am hinteren Wagen ist wohl ein Radreifen oder die Achse beschädigt, was sogleich repariert wird. Auch interessant das Nebengebäude/Wirtschaftsgebäude direkt hinter der Linde. Am Giebel befanden sich viele Schaukästen mit Aushängen. Dieses Gebäude wurde nach dem Bombardement am 5. März 1945 im vorderen Teil mit dem Satteldach nicht wieder errichtet, heute befindet sich hier ein Paddock.
Ebenso ist das Gebäude rechts daneben von heimatgeschichtlichem Interesse: die ehemalige Fleischerei Lohmann16. Auch dieses Haus wurde 1945 vollständig zerstört und nicht wieder errichtet. Dahinter die Hauptstr. 68 mit vielen verschiedenen Gewerben im Laufe der Jahrzehnte, 2024 befindet sich hier eine Vermögensberatung. Schlussendlich am rechten Bildrand noch die „Friedenseiche 1871“.
(Foto: Ingobert Rost)
Hansi
Und dann haben wir noch eine kleine Geschichte. Eine kurze Erzählung von ganz sicher nicht weltbewegenden Dingen, aber eine schöne Erinnerung an die Zeit Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre hier in Einsiedel.
Es erforderte schon große Überredungskunst, meinem Opa – Schmiedemeister Max Fischer – das Versprechen abzuluchsen, den kleinen Ziegenbock Hansi aus der Ricke zu behalten. „Bis zum Herbst“ lautete die Antwort, denn „für zwei Ziegen reicht das Futter nicht über den Winter.“
Daraufhin ging ich nach der Schule regelmäßig mit den Ziegen in die Fischzucht, um den Garten für Heu und Grummet zu schonen. Die Laube im Hof wurde im Herbst mit Laub gefüllt für die Einstreu.
Und so kam es, wie es kommen musste; Hansi wurde über einige Jahre meiner Kindheit mein stetiger Begleiter. Viele Erinnerungen sind damit verbunden.
Als er groß genug war, wurde vom Sattlermeister Aurich17 ein altes Hundegeschirr passend aufgearbeitet. Die Handwagen wurden mit einem Haken versehen für das Ortscheit und die Handgriffe wurden geändert, weil er sich beim Ziehen daran stieß. Ein Wagen wurde sogar mit einer Bremse ausgerüstet.
Absoluter Höhepunkt war ein kleiner Schneepflug. Damit war mein kleines Gespann gerüstet für jede Jahreszeit und aus dem Ortsbild nicht mehr wegzudenken.
Gab es Streitigkeiten unter uns Kindern, scheuchte Hansi freilaufend alle über den damals unbebauten Plan – eine imposante Erscheinung mit seinen Hörnern.
Helga Claus
Während des schweren Hochwassers 1954 bekamen die Ziegen Quartier beim Höfer, Ewald in der Kirchgasse.
Nach einigen Jahren bekam Hansi Probleme an einem Vorderbein und zudem begann ich mit dem Pferdesport. An einem Tag meiner Abwesenheit wurde Hansi vom Fleischermeister Roland Fischer aus Altenhain geschlachtet und ich habe über Wochen kein Wort mit ihm gewechselt.
Gibt’s auch 2024 noch:
Den Schneepflug. Sollte also die Schneefräse ausfallen, muss man sich nur noch eine winterfeste Ziege leihen … 😉
Schlussakkord: die Laube
Unklar ist das Alter der kleinen Gartenlaube im Hof vorn am Zaun Richtung Plan. Wohl um 1890 herum wurde sie errichtet, nebenstehend das älteste Foto. Es handelt sich vermutlich um Anton Bernhard Fischer, also Max Fischers Vater, der hier in der Laube sitzt.
Als in den Abendstunden des 5. März 1945 das Haus und der ganze Hof – voll mit Phosphor infolge des angloamerikanischen Luftangriffs – brannten, blieb die Laube unbeschädigt. Sie diente jahrzehntelang als Spielobjekt der Kinder, zum Skatspieltreff der Männer während der Kirmes und – wir lasen es vorstehend – als Lager für Einstreu. In den 1980er Jahren geriet sie in Vergessenheit … bis Dezember 1997.
Heute dient die Laube eigentlich als reines Zierobjekt wie oben z.B. während der Adventzeit 2005. Aufgrund des Alters sind aber immer wieder Reparaturen nötig. Im Sommer 2016 wurde sie erneut von ihrem Sockel gehoben und bekam ein neues Fundament und einen eigenen Stromanschluss.
Sie sehen, liebe Leser, in Einsiedel hat selbst die kleinste Hütte eine Geschichte zu erzählen …
Bonusmaterial gibt’s nicht nur in Hollywood:
(Foto: Uwe Aurich)
Rechts oben sehen wir noch die Ruine der Kirche. Der Turm hat drei Jahre zuvor eine flache Notbedeckung erhalten, um die 1949 neu gegossenen Glocken zu schützen.
Nicht nur in Einsiedel, sondern in ganz Mitteleuropa lag von Ende November 1969 bis Ende März 1970 eine geschlossene Schneedecke. Allgemein war dies ein strenger und – wie die Aufnahme zeigt – sehr schneereicher Winter, selbst Anfang März 1970 setzte noch einmal starker Schneefall ein.
Neben der Haustür erkennen wir noch das Firmenschild der „Schusterei Erich Oelsner“.
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- Helga Claus
- Sigrid Heinrichs
Fußnoten und passende, ergänzende Artikel zu dieser Seite:
- Kirchgasse 6: Kantorat ↩︎
- Am Plan 2: Bäckerei Enzmann ↩︎
- Einsiedler Hauptstraße 76: Lehngericht & Apotheke ↩︎
- Einsiedler Hauptstraße 95: Gasthof Einsiedel ↩︎
- Harthauer Weg/Kirchgasse 1: Fotoatelier Förster ↩︎
- Der Plan, es gibt ihn noch heute, wenn auch ohne Volksfeste. (Mit Ausnahme der jährlichen, mit hohem Zuspruch stattfindenden Weihnachtsmärkte …) ↩︎
- Heinrich Detlef Graf von Holk, * 18. April 1599 auf Schloss Kronborg, Dänemark; † 9. September 1633 in Adorf/Vogtl. an der Pest.
Er kämpfte im Dreißigjährigen Krieg erst auf protestantischer Seite und ab 1630 im kaiserlichen Dienst. Holk war ein rücksichtsloser Plünderer und wegen seiner Härte gegen die Zivilbevölkerung gefürchtet. Der hier im Artikel beschriebene Plünderungszug fand im Jahre 1632 statt. ↩︎ - Wallenstein, eigentlich Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, * 24. September 1583 in Hermanitz an der Elbe, Böhmen, † (ermordet) 25. Februar 1634 in Eger, Böhmen. Kaiserlicher Generalissimus im Dreißigjährigen Krieg. ↩︎
- Der „Westfälische Frieden“ vom 24. Oktober 1648 beendet den Dreißigjährigen Krieg. ↩︎
- Lateinisch: Die Zeiten ändern sich. ↩︎
- Die Befreiungskriege: die Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Sieg von Preußen, Österreich und Russland gegen Frankreich unter Napoleon I. Sachsen kämpfte – nicht zum letzten Mal – auf der Verliererseite, also mit Frankreich. ↩︎
- Auch heute noch: die Teuerungseiche mit der Erinnerungstafel an der Hauptstraße Ecke Seilerstraße. ↩︎
- Gemeint ist der „Deutsche Einigungskrieg“ (auch „Deutscher Bruderkrieg“).
Am 3. Juli 1866 erfolgte in einer „Jahrhundertschlacht“ in Königgrätz in Böhmen der Sieg Preußens über Österreich. Der Krieg dauerte insgesamt sechs Wochen, vom 14. Juni bis zum 27. Juli 1866. Sein geschichtliches Resultat ist noch heute spürbar: die Trennung Österreichs und seiner deutschen Stämme vom Reich. Das Königreich Sachsen, welches auf österreichischer Seite (… der Verliererseite) kämpfte, blieb in Bezug auf seine Grenzen unangetastet. ↩︎ - Die Schlacht von Sedan. Am 1. und 2. September 1870 war hier eine entscheidende Schlacht im Deutsch-Französischen Krieg 1870–1871. Ein Ergebnis war die Reichseinigung, das heißt die Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches.
Bis heute gibt es in diesem Zusammenhang zwei Naturdenkmale zur Erinnerung an diesen Krieg in Einsiedel und Berbisdorf: die beiden Friedenseichen. Einsiedel hatte in diesem Krieg einen, Berbisdorf zwei Tote zu betrauern; alle drei sind namentlich bekannt. ↩︎ - Der 1. Weltkrieg, 28. Juli 1914 bis 11. November 1918. ↩︎
- Einsiedler Hauptstraße 70: Fleischerei Lohmann ↩︎
- Einsiedler Hauptstraße 46: Sattler & Raumausstatter Fischer, Hallbauer, Aurich und Weber ↩︎
- Der Mord an Kurt Günther ↩︎
- Kirchgasse 5: Die ehemalige König-Schule ↩︎
- Am Plan 1: Wohnhaus, 1945 zerstört ↩︎
- Kriegerdenkmal „Den Siegern 1870/71“ ↩︎
Schreibe einen Kommentar