Vom „Gasthof Einsiedel“ zur „Freiwilligen Feuerwehr Einsiedel“
Ja, der Sprung ist gewaltig, den die Nutzung des Grundstücks in der Einsiedler Hauptstraße 95 im Laufe so vieler Jahrzehnte getan hat. Aber der Reihe nach.
Nachfolgend erst mal die Vergangenheit und die Gegenwart im direkten Vergleich, der Einstieg in diese recht umfangreiche Seite sozusagen.
Oben links eine ganz frühe Aufnahme des Gasthofes. Die rechte Gebäudehälfte zeigt uns den für Einsiedel typischen Baustil Ende des 18./ Beginn des 19. Jahrhunderts. Derartige, über 200 Jahre alte Fachwerkhäuser finden wir 2019 noch in der Anton-Herrmann-Straße 6, in der Rosenstraße 8 & 12, im Talsperrengrund 1 & 9 oder -als solches äußerlich nicht mehr erkennbar in der Berbisdorfer Straße 18.
Wohl vor 1878 hat man dann links den Gasthof-Saal angebaut. Erste Lithografien aus dem Jahre 1897 zeigen uns nun das bekannteste Motiv des Gasthofes Einsiedel wie die Nachfolgende unten links. Diese lief postalisch 1899. Es ist also davon auszugehen, dass vor 1897 der Fachwerkbau durch den seinerzeitigen Besitzer Stöckel komplett abgerissen und der Neubau sowohl architektonisch als auch in Bezug auf die Größe an die linke Gebäudehälfte angepasst wurde.
Aber bereits 1511 ist eine Schankstätte an diesem Ort erwähnt, seinerzeit ging es um Ausschankstreitigkeiten mit der Stadt Chemnitz.
Das traditionsreiche Haus, zentral platziert in der Ortsmitte, war bis zu seinem Untergang 1945 eine der größten Einkehrstätten in Einsiedel. Von 1888 bis zur Fertigstellung des neuen Rathauses fanden hier auch die Sitzungen des Gemeinderates statt, die letzte am 16. Juli 1900. Eine große Gaststube und ein noch größerer Saal prädestinierten das Lokal auch für Vereinsversammlungen und öffentliche Tanzveranstaltungen. Als Verein sei hier der „Turnverein Einsiedel“ genannt, der sich 1870 im gleichen Gasthof gründete.
Die seinerzeit recht beliebten Ansichtspostkarten, meist als gängiger Werbeträger genutzt, gab es freilich auch vom Gasthof Einsiedel.
In den vielen Jahren seines Bestandes hatte der Gasthof natürlich auch wechselnde Besitzer, nach denen er oft benannt wurde. 1905 hieß das Gebäude „Schröders Gasthaus“, davor „Stöckels“, um 1914 ist ein Herr Canzler bekannt, 1929 waren Max Zesewitz als Eigentümer und Hermann Vogel als Pächter erfasst.
Die Annonce oben ist vom Oktober 1936, links von 1905.
Die Reklame rechts ist aus den „Chemnitzer Neuesten Nachrichten“ vom 8. Februar 1913.
Aber gehen wir ruhig etwas detaillierter auf diese ein …:
Die dort genannte Asphalt-Kegelbahn gab es natürlich wirklich. In den späteren Trümmern wurde die Plakette (darunter) von einem Pokalsockel gefunden.
Die eingestanzte Ziffernfolge muss hintereinander gekegelt werden und bei der „8“ muss der mittlere Kegel (König) stehen bleiben. Schwierig und wohl so selten wie ein „Grand-Ouvert“ beim Skat …
Zur „Großen Ausspannung“:
Neben dem Hauptgebäude befand sich in nördlicher Richtung noch der zugehörige Pferdestall. Meist an Sonntagen kam aus Chemnitz eine von den (reiterfahrenen) Einsiedlern bissel abschätzig „Hippodrom“ genannte Reitschule, um Mittag zu essen und dann zurückzureiten. Der Pferdestall diente dann als zeitweiliger Unterstand für die Tiere, bis das „Hippodrom“ wieder heimwärts tingelte.
Aber hauptsächlich wurden hier natürlich Lastpferde ausgespannt, deren Kutscher im Gasthof übernachteten. Der zunehmenden Motorisierung geschuldet, stellte der Besitzer des Gasthofes 1936 einen Bauantrag zum Umbau des Pferdestalls in eine Garage, um die gasthofeigenen Fahrzeuge unterzustellen. Diesen Pferdestall respektive Garage gibt es noch heute, wir kommen nachfolgend darauf zurück.
Hintergrundwissen Hippodrom:
In früheren Jahren vorwiegend auf Volksfesten und Jahrmärkten zu finden gewesen. Es handelte sich um große Zelte, manchmal auch Gebäude, in denen jedermann gegen Entgelt in einer Arena reiten konnte.
Links nun eine weitere Annonce aus dem Jahre 1926, die wir auch ein wenig genauer betrachten wollen.
Als Erstes stellen wir fest, dass man in der Weimarer Republik etwas gemächlicher schritt als im Kaiserreich, jetzt sind’s 4 Minuten vom Bahnhof …
„Altrenommiertestes Haus am Platze“ – ja, die innerörtliche Konkurrenz war groß, „Waldesrauschen“, „Drei Eichen“, „Kaiserhof“, alle mit großen Sälen, letzterer auch mit Kegelbahn.
Und den sonntäglichen Tanz gab es bei allen anderen auch. Aber freilich auch andere Veranstaltungen. Rechts das 1925 gegründete „Einsiedler Tanzorchester“ im Gasthof bei der Faschingsveranstaltung 1926 als Teufelskapelle.
Noch interessanter ist hier der Hinweis auf eine Kutscherstube und Heimatwerk Einsiedel präsentiert: „Zum Braunen Bär“
Oben: Ende der 1920er-Jahre, die „Freiwillige Sanitätskolonne Einsiedel“ im Vorbeimarsch vor dem Gasthof. Wir wollen uns aber dem markierten Schriftzug zwischen dem Fenster und der Tür links im Erdgeschoss widmen: „Zum Braunen Bär“.
Der „Braune Bär“ befand sich im linken Anbau am Gasthof, der auf dem nebenstehenden Foto deutlich zu sehen ist. Auch dazu gibt es eine kleine Geschichte …:
Was der Großvater noch wusste oder die Geschichte am Rande …:
Linksseitig am Gasthof Einsiedel, durch einen separaten Eingang zu erreichen, befand sich der „Braune Bär“. Dies war eine Art Kneipe oder besser gesagt Kutscherstube im Gasthaus, die auch speziell für diese Kundschaft ausgelegt war. Beispielsweise befanden sich außen am Anbau Ringe zum Festzurren der Pferde. Der „Braune Bär“ war also mehr eine Lokalität, wo’s was zum Trinken, weniger zu essen gab. Das Niveau der Gastlichkeit des „Braunen Bären“ lag freilich auch unter der des „Gasthof Einsiedel“, obwohl beides vom gleichen Wirt betrieben wurde. Aber selbstredend hatte auch der „Brauner Bär“ seine Klientel, unter anderem den Fuhrunternehmer Bruno Uhlmann. Dieser trank gern, oft und reichlich und wenn er irgendwo hängen geblieben war oder auf dem Kutschbock einnickte … die Pferde fanden den Heimweg allein und seine Frau spannte dann zu Hause aus.
Und hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Bruno einmal ein Pferd mit in den „Bären“ hineingenommen hätte …
Schwertransport im Deutschen Kaiserreich:
Zwölf PS müssen reichen, um den Heizkessel zu transportieren. Es handelt es sich hierbei um einen bei der Maschinenfabrik Germania hergestellten Kessel, der im Zuge der Neubauarbeiten im Einsiedler Brauhaus 1907 bis 1908, von da bestellt wurde und nunmehr geliefert wird.
Aber vorher wird vor dem „Gasthof Einsiedel“ ein Fotostop eingelegt.
Blick vom Schulturm Richtung Gasthof und Ostheim um 1935.
In den Kriegsjahren empfingen auch die Kinder des KLV-Lagers Sa. 165 in der Einsiedler Schule zum Teil hier ihre Verpflegung.
Das Ende für den Gasthof Einsiedel kam am 5. März 1945 – er teilte sein Schicksal mit so vielen Häusern hier in Einsiedel. Das Gebäude wurde dermaßen zerstört, dass ein Wiederaufbau nicht mehr möglich war.
Auf dem Foto sehen wir die Ruine in der linken Bildhälfte, die später restlos abgetragen wurde.
Was das Bombeninferno überlebt hatte, war der ehemalige Pferdestall, jetzt eine Garage. Auf dem Foto sehen wir diesen in der rechten Bildhälfte mit der „Freiwilligen Sanitätskolonne Einsiedel“ davor (1928 oder 1930).
Nach Kriegsende erfolgte als eine der ersten Baumaßnahmen der Gemeinde der Umbau des Pferdestalls (… der Garage) zu einem Depot für die Einsiedler Feuerwehr, nachdem deren Gebäude Am Plan ebenfalls abgebrannt war. Über 50 Jahre wird dieses Haus nun als Einsiedler Feuerwache dienen.
Das Gebäude wurde bei diesen Umbauarbeiten stark vergrößert. Im Erdgeschoss befand sich eine gewaltige Garage, die über die Hälfte der Grundfläche einnahm. Dahinter Richtung Zwönitz waren Wirtschaftsräume.
Im Obergeschoss befanden sich zwei Wohnungen, die Feuerwehrmitgliedern vorbehalten waren. Die linke Aufnahme ist von Mitte der 1950er-Jahre, das rechte Bild ist wie unschwer zu erkennen aus dem Jahre 1959. Man feiert ein Jubiläum: „80 Jahre Feuerwehr Einsiedel“. (Fotos: Doris Großmann)
Nachfolgend zwei Diaaufnahmen aus einer etwas anderen Perspektive:
Oben links: Die 1950er-Jahre, vom Kirchturm aus aufgenommen. Das Häuschen mit dem roten Dach ist der sogenannte „Benzinbunker“. In ihm wurde der vorgeschriebene Vorrat an Benzin in gemauerten Regalen verwahrt, den jede Feuerwehr in der DDR zu ihrer ständigen Einsatzbereitschaft lagern musste. Auch wurde dieser Bunker gelegentlich für Übungen der Feuerwehr „unter Gas“ genutzt. Oben rechts auch eine Aufnahme aus den 1950er-Jahren, von der Kirchgasse aus aufgenommen.
Die Freifläche 1980.
Völlig ungenutzt blieb die Fläche all die Jahre nicht. Im hinteren Bereich am Zwönitzufer gab es einige Gärten.
Und die Kirmes fand nun jährlich wieder hier statt, auch andere Ortsfeste (Weihnachtsmarkt, Jahrfeiern …) wurden auf dem Areal abgehalten, oder es wurde dort einbezogen.
Ästheten bitte weiterscrollen!
Ein Original Trockenclosett aus dem Gasthof Einsiedel, 1945 aus den Trümmern geborgen, ist noch heute in einem Kleingarten in Benutzung …
Die Hauptstraße 95 im Jahre 1982. Äußerlich fast unverändert, erlebte das Haus die gesamte DDR-Zeit. Dann, 1995, musste das Gebäude noch einmal modernisiert werden, in allererster Linie um Platz zu schaffen für das neue Feuerwehrfahrzeug, welches jetzt wesentlich größer war als die Fahrzeuge aus der vergangenen Ära.
Was nach der Modernisierung blieb oder durch diese nicht beseitigt werden konnte, war die geringe Platzkapazität und die bei Weitem nicht mehr der Zeit genügenden Sozialräume und Sanitäranlagen des alten Gebäudes.
Sie machten einen lange geplanten Neubau nötig, den die Stadt Chemnitz schließlich realisierte.
Das Grundstück wurde geteilt, der Neubau auf der großen Freifläche des ehemaligen Standortes des Gasthofes erhielt die Hausnummer 95a. Die 95 wurde verkauft und gelangte in Privatbesitz.
Die für einen Ort wie Einsiedel eher fragwürdige Architektur wurde von den Befürwortern als „spektakulär“, von den Gegnern als „katastrophal“ bezeichnet. Letztere waren eindeutig in der Überzahl. Aber freilich legten sich auch hier die Emotionen, heute spricht kein Mensch mehr davon. Schon lange ist das Gebäude im Alltag der Einsiedler angekommen.
Mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen vom 11. bis 13. Mai 2001 wurde das neue Feuerwehrgebäude eingeweiht. Das neue Haus besitzt drei Lkw-Standplätze sowie Räume zur Ausbildung der Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr und der Pflege der Technik. Im ersten Geschoss befindet sich die Wohnung für den Gerätewart.
Passende, ergänzende Artikel zu dieser Seite:
- Freiwillige Feuerwehr Einsiedel: … deren Website.
- Einsiedler Hauptstraße 98: Zwei weitere Anekdoten zu Bruno Uhlmann
- Einsiedler Brauhaus: Kleine Fotogalerie vom Heizkesseltransport 1908
- Schule Einsiedel, Kinderlandverschickung: Das KLV-Lager Sa. 165
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