Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 57 E
➡ Holzmehl- & Zellstoffwattefabrik Carl Franz Hahn mit Villa
➡ Mühlgraben und „Hahngässchen“ (weiter unten)
„Niedere Mühle“, später Wattefabrik Hahn → Einsiedler Hauptstraße 75
Dazugehörige Villa → Einsiedler Hauptstraße 77
Beginnen wollen wir mit Fabrik und Villa:
Das Fabrikgebäude sehen wir rechts in der Ausbaustufe etwa um 1896.
Auch die beiden gartenähnlichen Grundstücke neben der im Bild zu sehenden Person gehören zur Fabrik, vorne läuft die Hauptstraße entlang.
(Foto: H+G Einsiedel)
Zum Zeitpunkt wurde vom Mühlenbesitzer Carl Franz Hahn, er war Mahlmüller und Bäcker zugleich, Mehl hergestellt und Brot gebacken, das er täglich mit seinen Pferden nach Chemnitz transportierte.
In Überlieferungen wird geschrieben, dass die Mühle bis 1896 in Betrieb war, dann folgte eine Produktionsumstellung auf Werbeschilder und Plakate, die in großer Vielfalt hergestellt wurden.
Wir wollen an dieser Stelle aber auf die Postkarte links mit Datum 24. Januar 1895 und den Firmenstempel ebenda verweisen.
Aus diesem und der Korrespondenz auf der Rückseite geht hervor, dass bereits zum Zeitpunkt „Holzwolle, Holzwollwatte & Universalbinden für chirurg. Zwecke“ hergestellt wurden.
Der Kupferstich links (um 1840) zeigt uns hier den Vorläufer der Fabrik.
Zum Zeitpunkt nannte man Haus und Grundstück die „Niedere Mühle“ oder auch nach dem Besitzer „Gränitzmühle“.
Im Jahre 1861 heiratete Carl Franz Hahn Pauline, eine Tochter des Gränitzmüllers. Aus der Ehe gingen zehn Kinder hervor, sechs Söhne und vier Töchter.
Im Zuge dessen wandelte sich ab 1861 sukzessive der Name von „Gränitzmühle“ zur „Hahnmühle“ und dieses Jahr galt dann auch als Gründungsjahr der Firma Franz Hahn.
Der Fachwerkbau, den der Einsiedler Maler Walter Viertel (wohl in den 1920er Jahren) noch einmal als Aquarell vom Kupferstich oben abzeichnete, brannte 1868 völlig nieder und es entstand der eingangs der Seite abgebildete Massivbau.
Links eine Fotografie ausgangs des 19. Jahrhunderts.
Die Fabrik ist in der Bildmitte gut erkennbar, die Talsperre ist fertiggestellt, das Rathaus fehlt noch …
… und auch die Familie Franz Hahn wohnte noch nicht standesgemäß. Das änderte sich schnell. Ein Teil des Grundstücks wird an die Gemeinde verkauft, die hier 1900 das Rathaus errichtet. Der Verkauf bringt genügend Kapital, um 1901-02 vor der Fabrik eine Villa zu errichten, die wir in ihrer äußeren Erscheinung nur wenig verändert noch heute kennen.
(Foto: H+G Einsiedel)
Im Buch „Das Zwönitztal im Königreich Sachsen, dessen Umgebung nebst Industrie in Wort und Bild“ aus dem Jahre 1905 finden wir die nebenstehende Annonce.
Seit 1903 oder 1907 (unklar) wird hier nun zusätzlich Zellstoffwatte hergestellt. Dieses vor allem für den medizinischen Bereich hergestellte Produkt schlägt sich auch im geschäftlichen Logo nieder:
Nach Franz Hahns Tod 1915 führen die Söhne Horst und Johannes den Betrieb als Kommanditgesellschaft (KG) weiter.
Ein Briefkopf vom 5. August 1920.
Die Fabrik gliedert sich in die Abteilung I, Holzmehlfabrik, und Abteilung II, Wattefabrik.
Zum Zeitpunkt ist die Belegschaft etwa 20 Mann hoch.
Auf dem Foto links sehen wir nicht etwa das Rathaus brennen, nein, es ist der Hahn’sche Schornstein, der uns die damalige Betriebsamkeit der Fabrik aufzeigt. (Um 1920.)
Ein Geschäftsbrief der Firma Hahn, postalisch gelaufen am 27. Mai 1937. Interessant hier das Siegel auf der Rückseite. Es ist zu vermuten, dass es bereits 1936 hergestellt und verwendet wurde und nimmt mit „75 Jahre Franz Hahn Einsiedel“ Bezug auf das Gründungsjahr 1861.
Dem aufmerksamen Betrachter der beiden Postkarten oben (links 1938, rechts 1943) fällt sicher das Fehlen des Schornsteins der Wattefabrik Hahn auf der rechten Fotografie auf. Spekulationen, dass das Foto genau zu einem Zeitpunkt entstand, wo die alte Esse abgetragen und eine neue noch zu errichten gewesen wäre, verflüchtigen sich schnell. Der 36 Meter hohe, markante Schornstein in der Bildmitte wurde wohl als zu fesselnd oder störend für das Auge empfunden und aus dem rechten Bild einfach heraus retuschiert.
Bereits dem ersten größeren anglo-amerikanischen Luftangriff auf Einsiedel am 14. Februar 1945 fiel die Fabrik – nicht aber die Villa – zum Opfer.
(Foto: Ingobert Rost)
1947 stellen die Besitzer bei der Sächsischen Landesregierung einen Antrag auf Wiederaufbau, der auch vom sogenannten „Demokratischen Block“ befürwortet wurde, aber in Dresden auf Ablehnung stieß.
So wurde ein Großteil der Fabrikruinen um 1950 ganz oder teilweise abgerissen. Aus einigen Grundmauern der Ruinen wurden Schuppen und Lager, die später diversen Dachdeckern als Lagerstätten dienten. Als Erster mietete sich hier der Dachdecker Walter Klimpel ein (wohnte Lessingring 10).
1956 wurde der Grundstücksteil hinter der Villa, wo einst die Fabrik stand, verkauft.
Käufer war der Dachdeckermeister Kurt Wildfeuer, dieser verkaufte Jahre später an Peter Hollstein, ebenfalls Dachdecker.
Links ein Foto vom Turm des Rathauses im Januar 2005 auf das verschneite Gelände, wo einst die Hahn’sche Fabrik stand.
(Foto: Peter Hollstein)
Unten zwei jüngere Bilder der „Hahn-Villa“, zum Zeitpunkt noch immer im Familieneigentum.
Der Mühlgraben für die Fabrik und das „Hahngässchen“
… wird auf den beiden nebenstehenden Fotos recht gut dargestellt. Beide Male sehen wir den Mühlgraben kurz vor dem Einlauf in die Fabrik, am linken Bildrand finden wir das sogenannte Hahngässchen. Beide Fotos entstanden nach 1920, denn vorher war der Verlauf des Weges ein anderer. Es sei noch hinzugefügt, dass der Name „Hahngässchen“ umgangssprachlichen Charakter hat und keine offizielle Bezeichnung ist.
Der nebenstehende Briefkopf überliefert uns den Verlauf des Hahngässchens (roter Pfeil) vor 1920. Auch die Obstwiese mit den Pfeilen gehörte zur Fabrik und somit teilte der Weg das Grundstück. Das wäre an sich nicht weiter schlimm, nur war der Weg der Öffentlichkeit gewidmet und eine kleine Brücke (blauer Pfeil) verband den heutigen Talsperrengrund mit der Ortsmitte.
Alles „latschte“ somit durch das Betriebsgrundstück und durch Zukauf eines weiteren Flurstücks von der Familie Viertel und der dann möglichen Umverlegung des Weges wurde 1920 Abhilfe geschaffen.
Übrigens stimmt die Zeichnung nicht ganz, die Brücke querte die Zwönitz links der Kaskaden (Überlauf Talsperre) und dem Haus Uferstraße (… Talsperrengrund) 1.
Dieses Haus sehen wir auf der Zeichnung links neben dem großen Schornstein, rechts davon sind die Kaskaden zu erkennen.
Noch am 13. August 2006 zeigt uns eine Felsnase im Grundstück Talsperrengrund 1 den ehemaligen Auflagepunkt der ersten Brücke (vor 1920) diesseits der Zwönitz. Leider besitzen wir kein historisches Foto von dieser Brücke. 🙁
Mit der Umverlegung des Weges 1920 machte sich auch der Neubau einer Fußgängerbrücke nötig.
Auch an diesem Bauwerk nagte der Zahn der Zeit bzw. der Naturgewalten. Links sehen wir die Fußgängerbrücke von 1920 in einer Aufnahme aus den 1950er Jahren, gut datierbar, da im Hintergrund der Kirchturm noch mit Notbedachung, also ohne Turmhaube sichtbar ist.
Auch gut zu erkennen das „Hahnwehr“ mit seinen Schützen, um den Wasserzulauf im Mühlgraben zu regulieren.
(Foto: Wolfgang Röhr)
Das Hochwasser von 1954 hinterließ an der Brücke immense Schäden, so dass diese wegen Einsturzgefahr gesperrt wurde. In den 1970er Jahren begann auf eine private Initiative der Einwohner der Uferstraße hin ein Wiederaufbau/Komplettsanierung in freiwilligen Arbeitsstunden.
Von ehemals 20 Freiwilligen blieben nur fünf bis zum Schluss, aber letztendlich wurde die Brücke fertig gestellt und man konnte diese fortan wieder nutzen.
2013 gab es erneut gravierende Hochwasserschäden und die Brücke wurde noch im selben Jahr abgerissen.
Nach allerhand Querelen wurde dann ein Neubau geplant und realisiert. Die Bauarbeiten wurden im November 2019 abgeschlossen und die neue Brücke am 26. November 2019 eingeweiht.
Dieser Brückenneubau ist ausreichend dokumentiert und könnte vielleicht einmal als eigenständige Seite publiziert werden. Hier an dieser Stelle sollen aber die beiden nachfolgenden Fotos vorerst genügen.
Noch zwei, drei Sätze zum Mühlgraben.
Der Beginn des Mühlgrabens für die Hahn’sche Fabrik befand sich am Grundstück Hauptstraße 81 und endete hinter dem Grundstück Hauptstraße 71, wo das Wasser wieder in die Zwönitz zurückfloss.
(Foto: Ehepaar Theileis)
Wie bei Mühlgrabensystemen üblich, wurde der Wasserzulauf über Schütze reguliert. Das nebenstehende Foto zeigt uns die Anlage während des Hochwassers 1954, das auch hier schwere Schäden hinterließ.
Zum Zeitpunkt wurde an der Anlage allerdings sowieso nichts mehr reguliert – der Hahn’sche Mühlgraben war da bereits mit den Ruinenresten aus der Fabrik verfüllt.
Diese Seite wurde aus der Ursprungsversion (www.einsiedel.info, ab 2004), die seinerzeit mit einer speziellen Software (NetObjects Fusion) gestaltet worden war, fast identisch übernommen. Es kann hierbei manchmal zu Darstellungsproblemen kommen, in erster Linie deshalb, weil die eingefügten Bilder kleiner sind als die Aufnahmen, die wir seit dem Wechsel des Layouts bei allen neueren Seiten einfügen.
Die bildlichen und textlichen Inhalte stellen den Stand unserer Veröffentlichung Wattefabrik Hahn mit Villa dar, wie er in der Version 2004, die über zehn Jahre (2004-2014) ausgegeben wurde, publiziert war. Für dieses Objekt liegen in unserem Archiv keine ergänzenden Daten und Fotos vor.
Sehr schön.
Gibt es noch Unterlagen über den Bau des “ Hahnwehr“ .
Würde mich interessieren.
MfG W.Stoll