Lindenstraße 18

Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 66

Lindenstraße 18, früher Neduck-Gut und Schauplatz eines fünffachen Raubmordes
Das Haus in der Lindenstraße 18 am 22. Januar 2024.

Unsere Bild dient der anschaulichen Darstellung des hier behandelten Grundstücks. Dass es sich bei diesem gepflegten Gebäude nicht um ein Anwesen im landwirtschaftlichen Sinne handelt, dürfte klar sein.

Das Gut, von dem nachfolgend berichtet wird, wird schon seit 1915 nicht mehr bewirtschaftet und ist 1929 abgebrannt. An seine Stelle trat kurz darauf das oben gezeigte Gebäude.


Entsetzliche Bluttat, gegen Ende des Jahres 1813 in unserem Ort Einsiedel, der 5 Menschen zum Opfer fielen.

Die Personen sind,

  • Frau Christiana Sophia Oertelin, 35 Jahre alt, deren Mann Johann Christoph Oertel 4 Wochen vor dieser Tat am Nervenfieber gestorben war,
    Bäuerin und Erbgärtnerin in Einsiedel, der Garten lag am Marktsteig jenseits des Flusses, der die Chemnitz
    [Anm.: Zwönitz] genannt wurde, gerade des Steges gegenüber, der über den Fluß zur Lindenstraße führt
  • ihre Tochter gleichen Namens 9 Jahre alt
  • so wie ihr Söhnlein Carl Gottlieb, 11 Monate alt
  • ihre Mutter Johanna, verw. Lohßin, 59 Jahre alt
  • und der Dienstknecht Carl August Schröder aus Reichenhain, 16 Jahre alt.

In der Nacht vom 28. zum 29. Dezember fielen Räuber und Mörder in ihre Wohnung und des Morgens gegen 8 Uhr wurden diese 5 Menschen von Johann Christoph Schuberten und Carl Sigismund Kemtern teils erschlagen, teils lebend, mit vielen Wunden bedeckt, sprachlos und ohne Bewußtsein, teils in der Stube, teils im Vorhause vorgefunden.

Die Bauernfrau, genannte Oertel, lag mit ihrer neunjährigen Tochter in der Stube in ihrem Bette nebeneinander erschlagen. Die Mutter hatte ungeheure Schläge auf dem Kopfe, so daß das ganze Kopfjoch inwendig zerschlagen war, dazu mehrere Stiche am Kopf und Halse. Die neunjährige Tochter, ein allerliebstes Kind, fein an Sitten, fleißig in der Schule, lag neben ihr, bedeckt von der Mutter Blute, die Hirnschale zerschlagen, so daß die Hälfte davon unter dem Bette lag; das Gehirn, zum Teil herausgefallen, lag im Bette. Hatte zugleich mehrere Schnitte in den Händen.

Der kleine Carl Gottlieb Oertel, noch nicht jährig, lag in seiner Wiege, nicht weit von der Mutter und der Schwester blutigem Bette, noch lebend; sein Gesicht war mit Blut überzogen; hatte einen tödlichen Schlag auf dem Kopf und einen Stich beim Auge. Beim Vorfinden ermunterte er, schlug mit der einen Hand und starb bald darauf.

Die alte Bäuerin, die verw. Lohßin, wurde im Vorhause beim Wassertrog, auf einem Klötzchen sitzend, von oben erwähnten Männern in ihrer Wochenkleidung, die Arme in einander geschlagen, gleichsam als wollte sie durch ihre Stellung sagen: mich frieret! Angetroffen. Sie wurde in die Stube geführt, aufs Lager gelegt, kam aber nicht zum Bewußtsein, sondern erklärte nur einmal auf die Frage, wer sie so geschlagen habe: „ja, der alte Fleischer! Sie starb an ihren Wunden, indem sie entsetzlich am Kopf zerschlagen war und mehrere Messerstiche im Gesichte hatte, obgleich alle nur möglichen Mittel zu ihrer Erhaltung von Seiten der Ärzte angewendet wurden, des Tags darauf früh 1/2 8 Uhr.

Der Knecht, genannter Schröder, ein Dienstknecht guter Art, wurde im Vorhause, hinter der Haustür im Blute vorgefunden; er zeigte erst noch viel Lebhaftigkeit, stand auf seinem Lager auf, kam aber nicht zur Besinnung, sprach zuweilen laut und deutlich, nannte aber weder seine Mörder, noch erklärte er sich auch über sein Schicksal; am 2. Januar 1814 früh 4 Uhr starb er.

So erschlugen also diese Unmenschen das ganze Haus!

Man konnte jedoch diesen Unmenschen nicht auf die Spur kommen, da es ein bißchen Schnee hatte, so sah man doch um das ganze Bauerngut herum keine Fußtritte. Sie waren unstreitig zur Haustür hineingekommen, wie? ist unbekannt; keine Verletzung war nicht zu sehen.
Eine in der Kammer stehende Lade war aufgesprengt, ob aber diese Verblendeten viel Geld weggebracht, ist nicht zu entscheiden.

Die ersten 4 wurden am 2. Januar als am Sonntag nach dem neuen Jahr begraben; es war ein schöner heller Tag in der Natur. Über 3 000 Menschen aus Einsiedel und Umgebung versammelten sich an diesem traurigen Tag um die Gruft der Erschlagenen.

Am 4. Januar begrub man auch den Knecht Carl August Schröder. Das schwere Verbrechen der Menschen, die ihre Hand mordend an das Leben des Jünglings legten, sie nahmen ihm sein bestes; sie vernichteten sein Leben, sie nahmen die Zufriedenheit und Stütze seiner Eltern.

Bericht aus dem Kirchenbuch
Pfarrer Johann Friedrich Benjamin Fritsche
Januar 1814
Neduck-Gut, 5facher Raubmord in Einsiedel
„Chemnitzer Anzeiger“, Januar 1814 (Vorlage: Uta Zschäckel)

Die Hoffnung – im letzten Satz oben ausgedrückt – den Mördern habhaft zu werden, erfüllte sich nicht. Der Einsiedler Ortschronist Max List schrieb 1976: „Trotz längerer gerichtlicher Nachforschungen und einer bei Ergreifung ausgesetzten Geldsummer von 50 Talern konnten die Mörder nicht ermittelt werden.“


  • Wir haben den Bericht von Pfarrer Fritsche lediglich formatiert, dass er hier besser lesbar ist. Die Formulierungen und die Orthografie sind zeitgenössisch.
    Johann Friedrich Benjamin Fritsche war über drei Jahrzehnte Pfarrer in Einsiedel, genauer von 1799 bis 1832. In seine Dienstzeit fiel auch der Bau unserer Kirche.
  • Unklar ist, wann die Zwönitz so benannt wurde. „Sie hieß früher Chemnitz“ ist eine geläufige Formulierung; den genauen Zeitpunkt der Umbenennung wissen wir nicht. Aufgrund des vorstehenden Berichtes erfolgte das also nicht vor 1814.
  • Chemnitzer Anzeiger: „… halben Hufenguths …“ Hufe: eine lange Zeit und nicht nur im „Heiligen Römischen Reich Deutsche Nation“ verbreitete Größenangabe (Flächenmaß) für landwirtschaftliche Nutzflächen.
    Eine sächsische Hufe waren knapp 20 Hektar und damit eine Fläche, die allgemein ausreichte, um die Familie des Hufners zu ernähren. Ob eine halbe Hufe wie hier zu Stillung der Lebensbedürfnisse ausreichte, ist zweifelhaft.
  • Ein Taler 1814 hatte eine Kaufkraft 2024 von 43,50 EUR, mithin waren ca. 2.175 EUR Belohnung ausgesetzt. (Quelle: Bundesbank, abgerufen März 2024)

In anderen Überlieferungen und Aufzeichnungen auch Nedek oder Nedok. Wir beziehen uns hier als Quelle auf das Adressbuch von Einsiedel 1897, also Neduck.

In diesem Adressbuch finden wir auch die damalige Ortslistennummer 66. Das Gut scheint im Laufe 19. Jahrhunderts einiges an Flächen, die an der Lindenstraße liegen, verkauft zu haben. Noch heute sehen wir an einigen Gebäuden dort die alten Ortslistennummern angebracht. Heute sind diese Schmuck und dienen (gerade fürs Heimatwerk) zeitgenössiger Recherche. Also sehr löblich, danke an die Eigentümer!
Auffällig ist, dass viele der Nummern dort ebenfalls die 66 sind, stets aber mit einer Buchstabenunterteilung. Das war damals schon so und ist heute bei den Hausnummern gebräuchlich, dass, wenn Areale verkauft und reguläre Nummern nicht mehr zugeteilt werden können, weil diese von den Nachbargrundstücken belegt sind, mit Buchstaben ergänzt wird, z.B. also wie nebenstehend die 66 F.
Diese finden wir im März 2024 an einem Geräteschuppen in der Lindenstraße 7. Ursprünglich war sie gegenüber an der Lindenstraße 20 (ehemalige Tischlerei Aurich) angebracht.


Danke für die Unterstützung



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  • … posthum bei jenen, die die historischen Aufzeichnungen verfassten.

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